Die alten Stasi-Kameraden bedrängen die Familie von Hans Kupfer (Uwe Kockisch). Foto: MDR

Die vierte Staffel der Ausnahmeserie „Weißensee“ startet in der ARD. Nach dem Ende der DDR müssen sich frühere Bürgerrechtler und stramme alte Kommunisten neu zurechtfinden.

Berlin - Mythen und Legenden bekommen das sauberer hin. Da gehen ganze Kontinente mit Mann und Maus, mit Städten, Hütten und Palästen spurlos unter. Zurück bleiben nur Sehnsüchte, Fantasien, Schatzgräberträume. Die Realität dagegen wickelt nicht einmal ein marodes einzelnes Staatsgebilde wie die DDR derart adrett ab. Eine Ideologie mag in Scherben liegen, Gesetze mögen ausgetauscht worden sein, aber die Menschen sind alle noch da. Sie lassen ihre Lebensgeschichten, Verknüpfungen und Wundstellen nicht einfach zurück wie die Schlange ihre alte Haut. Davon erzählt die vierte Staffel der ARD-Serie „Weißensee“.

Die erste Staffel kam 2010 auf die Bildschirme. Sie spielte 1980 und erzählte von zwei Familien in einem Gängelstaat, dessen Nutznießer und Ideologen ihn immer noch für ein Zukunftsmodell halten wollten. Die Kupfers waren linientreu, die Männer der Familie arbeiteten für die Stasi und die Volkspolizei. Die Hausmanns waren Abweichler, sie haderten mit den Realitäten des Sozialismus. Die dritte Staffel, 2015 ausgestrahlt, erzählte vom Untergang der DDR, von den wunderlichen Wochen zwischen Mauerfall und Stürmung der Stasi-Zentrale.

Alte Kader und Wendehälse

Wäre die Serie damit zu Ende gegangen,dann hätte sie wohl die Illusion mancher Westdeutscher genährt, die DDR sei eben ein schäbiges Atlantis mit dauerndem Warenmangel und allgegenwärtigen Spitzeln gewesen – aber jetzt weg wie nie dagewesen. Zum Glück also geht „Weißensee“ weiter, erzählt von den Schmerzen des Übergangs, von der Enttäuschung der Bürgerrechtler, von Stasi-Veteranen, die nicht aufgeben wollen, vom Frust alter Kader und der Anpassungsfähigkeit der Wendehälse.

Die Drehbuchautorin Annette Hess, die „Weißensee“ erfunden hat, war diesmal nicht mehr beteiligt. Sie hat mittlerweile „Ku’damm 56“ und „Ku’damm 59“ geschrieben: Das Aufrufen anderer Zeiten und Mentalitäten scheint ihr Spaß zu machen. Die vierte Staffel - sie umfasst wie die Vorgänger sechs Folgen zu je 50 Minuten – hat Friedemann Fromm geschrieben und inszeniert, der von Anfang an Regie bei „Weißensee“ führte und ab der zweiten Staffel an den Drehbüchern mitarbeitete.

Keine Verklärung

Fromm ist kein Ossi, er ist 1963 in Stuttgart zur Welt gekommen und hat in München gerade Film studiert, als die DDR unterging. Aber er teilt jenes Gefühl einer Ungerechtigkeit und Anmaßung der Westler, das viele Filmemacher mit DDR-Sozialisation lange umgetrieben hat. „Man hat den Menschen damals nicht die Wahrheit gesagt über das, was auf sie zukommen wird“, bemängelt Fromm „man hat sie nicht für voll genommen und war an ihrer Erfahrung nicht interessiert.“

Keineswegs aber verklärt er die Altlinken in Bausch und Bogen zu Opfern eines Siegersystems. Es gelingt Fromm, sowohl vom Ärger mit der Treuhand wie von der Beiseiteschaffung der SED-Gelder durch alte Stasi-Kameraden zu erzählen, ohne dass „Weißensee“ überfrachtet wirkt. Weil aber auch das Private nicht zu kurz kommt, empfiehlt sich das Ganze nicht für Neueinsteiger. Die Figuren hier kommen nicht aus dem Nichts, sie tragen an ihrer Geschichte.

Ausstrahlung: ARD, 8. Mai 2018, 20.15, Doppelfolge; weitere Folgen am 9. und 10. Mai

Rückbblick: Wer die bisherigen Staffeln von „Weißensee“ nicht gesehen hat, kann sie auf DVD erwerben. Auch Netflix, Amazon Prime Video, iTunes und Google Play bieten die alten Folgen als Stream beziehungsweise als Download an. Gratis gibt es das alles in der ARD-Mediathek zu sehen – aber nur bis zum 13. Mai.

Zusatzmaterial: In der ARD-Mediathek findet man auch eine zehnteilige Webserie: eine Nacht in Görlitz’ neuer Wohnung. Zudem gibt es Interviews mit den Serienmachern. Im MDR läuft am 8. Mai um 21. 50 Uhr die begleitende Doku „1990 – Ende und Anfang“.