Täglich steigt der Zuckergehalt der Trauben. Das geht auf Kosten der Säure. Foto: Ines Rudel

Der Klimawandel macht keine Pause: Vielerorts beginnen die Weinbauern bald mit der Ernte. In Esslingen werden die ersten Trauben wohl schon im August gepflückt. Und auch anderswo in der Region Stuttgart machen sich die Wengerter bereit.

Esslingen - Der Sommer meint es gut mit den Wengertern. Historisch steht die früheste Weinlese an. Die Weinbauern in der Region zeigen sich zufrieden und freuen sich auf einen sehr guten Jahrgang. Dass sie immer früher Lesen und sich daran aufgrund der Klimaveränderung wohl auch nichts ändern wird, darauf haben sie sich längst eingestellt. Auch auf die Möglichkeit, künftig nahezu jede Sorte in Deutschland anbauen zu können.

Den Begriff „Herbsten“ nimmt derzeit niemand mehr in den Mund. Frühreife Sorten kommen vielerorts bereits im August von den Reben. In Rheinland-Pfalz haben Weinbauern bereits am vergangenen Montag, zwei Tage vor dem bisherigen Rekord, mit der Lese etwa von Federweißer begonnen. Aber auch die Hauptweinlese startet zwei bis drei Wochen früher als sonst. „Wir beginnen am 20. August, oder spätestens in der letzten Augustwoche mit der Lese“, sagt Hans Kusterer, der Chef des gleichnamigen Esslinger Weinguts. 2017 hat er am 4. September begonnen.

Eine Kühlmaschine für die Trauben

Normalerweise würde er jetzt mit der Familie Urlaub machen, stattdessen wird der Keller geputzt,um bereit zum Maischen und Keltern zu sein. Und noch etwas ist dieses Jahr anders: Kusterer hat in eine Kühlmaschine investieren müssen, weil die Trauben zu warm sind. Denn sie haben laut dem Winzer 25 Grad und mehr. Wenn sie nach dem Pressen zu warm seien, bestehe die Gefahr, dass die Gärung zu früh einsetze. Doch Kusterer freut sich über seine Ernte: „Der Jahrgang hat es gut mit uns gemeint.“ Dass die Trauben früh reif seien und dadurch viel Zucker besäßen, sei ein Luxusproblem. Früher holen müsse er sie, weil mit steigendem Zucker auch der Alkoholgehalt zunehme. „Geschmacklich wäre das kein Problem, aber der Markt will leichte Weine. Niemand will Weißwein mit 14 Prozent Alkoholgehalt“, erklärt er.

Um am Ende die gewünschte Qualität zu bekommen, gilt es, viele Faktoren zu beachten. Die Reben haben Kusterer und andere Wengerter ausgedünnt, da zu viel Ertrag auf die Qualität geht. Geht der Zucker hoch, geht die Säure runter. Daher holt Kusterer den Chardonnay früher als sonst und auch den Riesling. „Das ist eigentlich eine spät reifende Traube, aber der Riesling braucht Säure, um gut zu sein, sonst schmeckt er wie eingeschlafene Füße“, sagt Kusterer.

Auch in Stuttgart hat die Rebblüte in den Weinbergen in diesem Frühling früher begonnen, sodass zeitiger geerntet wird. Normalerweise blühen die Reben im Juni. Doch um diese Zeit waren sie bereits so groß wie Erbsen. Der Mai war so warm wie noch nie seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1951.

Die von Jahr zu Jahr steigenden Durchschnittstemperaturen in Deutschland haben auf die hiesige Weinkultur einen großen Einfluss. Darauf reagieren auch die Weinbauern. Laut Jochen Clauß, Vorstandsmitglied der Weingärtner Esslingen, könne man schon jetzt in vielen Gegenden alle bekannten Rebsorten anbauen. „Südländische Sorten wie Cabernet Sauvignon oder Merlot bauen wir seit circa zehn Jahren hier an, und das funktioniert wunderbar“, sagt er. Für viele lokale Sorten wie etwa den spätreifenden Riesling verschiebt sich dagegen die Höhenlage.

Im Remstal beginnt die Lese etwas später

Und selbst kulturelle Veranstaltungen sind vom Klimawandel betroffen. In Esslingen etwa findet jedes Jahr am 3. Oktober die Weinkultur-Führung durch die lokalen Hanglagen statt. „Vor 20 Jahren ging das wunderbar. Da hingen die Trauben noch. Heute sind wir zu dieser Zeit mit der Ernte fast fertig“, sagt Clauß, der bereits seit 25 Jahren im Geschäft ist.

Das beobachtet auch Thomas Seibold, der Vorsitzende der Fellbacher Weingärtner: „In den vergangenen zehn Jahren sind wir immer früher dran gewesen.“ Den Esslingern ist man im Remstal zwar rund zwei Wochen hinterher, „aber auch wir gehen davon aus, dass es die früheste Lese wird“. Seibold geht von einem Lesebeginn in der ersten Septemberwoche aus. „Wir haben aber keinen Drang, möglichst früh dran zu sein“, sagt er. Man wolle schließlich harmonische Weine. Die Reben stünden sehr gut da, hätten auch immer wieder Wasser bekommen. „Qualitativ ist in diesem Jahr alles möglich“, betont er. Das entscheide sich aber erst ganz zum Schluss.