Das Erste verpasst Jan Hofer auf Tiktok virtuelle Scherzkrawatten. Foto: ARD

Die altehrwürdige Tagesschau präsentiert sich neuerdings auf der nicht ganz so seriösen Videoplattform Tiktok. Kann das was werden?

Stuttgart - Der Kampf ums junge Fernsehpublikum ist ein multimedialer Mehrfrontenkrieg. Weil sich die Generation der sogenannten Millennials partout nicht an alte Programmschemata halten will, weiten Sender ständig ihr digitales Angebot aus – und passen sich dabei zunehmend an junge Sehgewohnheiten an. Teenagergerechte Serien wie die Vox-Produktion „Rampensau“ laufen daher oft zuerst online. Doch es nutzt nicht so viel wie erhofft: Die undankbare Brut guckt lieber Youtube als die Mediatheken der altehrwürdigen Sender. Oder sie stellt gleich selber Videos auf Portale wie Instagram, Twitch und neuerdings Tiktok.

Starker Sog aus China

Den Sog dieser interaktiven Kurzfilm-App aus China hat nun auch die ARD gespürt und ein verwegenes Rettungskonzept ersonnen. Wenn das ersehnte junge Publikum nicht freiwillig zu ihr kommt, kommt das Erste halt zu ihm – weshalb die „Tagesschau“ seit ein paar Tagen auf Tiktok zu sehen ist. Wenngleich (noch) nicht in seiner präsidialen Berichterstattungsform mit Verlautbarungssprache und Verlautbarungskleidung, sondern, wie das in der avisierten Zielgruppe heißt, ein bisschen swag, ein bisschen lit, ein bisschen nice. Oder mit den Worten des ARD-aktuell-Chefs Marcus Bornheim: „humoriger“, „nahbarer“ und „präsenter“.

Das Resultat sieht dann, nun ja, irgendwie zwischen Jung und Alt aus. Statt wie um 20.15 Uhr üblich in gedeckten Farben stocknüchtern das Weltgeschehen zu verlesen, guckt Jan Hofer leicht debil aus der Wäsche, als sein Schlips digital die Farben von ganz bunt über wild gemustert bis tagesschaublau wechselt. Irgendwelcher Inhalt, gar soziokulturelle Relevanz fehlt da noch vollständig. Doch obwohl das Erste mit den knackigen Videos in Zukunft durchaus Nachrichteninhalte verbreiten will, ist die Tonlage gleich mal klar: Locker soll es zugehen.

Suche nach dem Sinn

Lockerer noch als jene „Tagesschau in 100 Sekunden“, die das global bedeutsame Geschehen bereits seit 2007 auf ein netzaffines Format eindampft. Lockerer auch als der eigene Twitter-Auftritt. Ja selbst lockerer als „heute+“, mit dem die Konkurrenz vom ZDF täglich zur Nacht Splitscreen-Infotainment für Smartphone-Geschädigte liefert. Und sowieso lockerer als die Nachrichtenkarikaturen von Pro 7 bis RTL 2. Ob es allerdings locker genug für Tiktok ist, bleibt bislang abzuwarten. Beim chinesischen Emporkömmling nämlich zelebriert sich die Generation Selfie noch ein wenig selbstverliebter als auf Instagram, wo echter Inhalt zwischen Duckface-Fotos und Foodporn nicht leicht zu finden ist.

Wer sich ein paar Stunden durch Tiktok zappt, sucht jedenfalls oft vergeblich nach irgendeiner Art von Sinn. Er stößt bei einer kleinen Google-Suche jedoch zügig auf ein paar Tausend besorgter Artikel zum Thema Datenschutz und Nutzerüberwachung bei dem chinesischen Anbieter.

Jede Chance nutzen

Doch was fraglos beeindruckt, ist die schiere Masse an Nutzern. Unlängst wurde Tiktok erstmals häufiger heruntergeladen als der Marktführer Whatsapp. Die Eigentümer sprechen von täglich 150 Millionen Usern in 150 Ländern. Quantität schlägt Qualität.

Unklar bleibt, welchen Werbenutzen es für die ARD haben kann, die schwere Kost Nachrichten in leicht bekömmliche Häppchen zu verwandeln. Andererseits bleibt den öffentlich-rechtlichen Platzhirschen im multimedialen Konkurrenzkampf gar nichts anderes übrig, als jede Chance zu nutzen. Denn freiwillig, darüber herrscht Einigkeit, kommt das junge Publikum nicht ins Regelprogramm. Dort wartet schließlich kein angesagter Influencer, sondern allenfalls Florian Silbereisen.