Clanchef Ali Hamady (Kida Khodr Ramadan, vorne, dritter von links) im Kreis seiner Lieben Foto: Turner Broadcasting

In der Realität hat die Justzig gerade zu einem großen Schlag gegen kriminelle arabische Clans in Berlin ausgeholt. Unegheuerliche Details über deren Aktivitäten schocken manchen Bürger. Aber Fans der hier noch mal empfohlenen deutschen TV-Serie „4 Blocks“ denken sich: „Wusste ich’s doch.“

Berlin - „Du musst mitkommen“, sagt Kalila zu ihrem Ehemann Ali Hamady. „Das ist wichtig“. Die beiden stehen in ihrer prächtigen Berliner Altbauwohnung, in deren bürgerliche Wohlgeordnetheit der Zuschauer einen bewundernden Blick nach dem anderen werfen kann. Die wichtige Angelegenheit – das ist ein Termin beim Bezirksamt in Berlin-Neukölln – und der ist nicht deshalb so lang ersehnt, weil die Amtsstuben der Hauptstadt chronisch unterbesetzt sind.

Wer so wie Kalila und Ali aufgewachsen ist, der wartet auf diesen Tag seit Jahrzehnten: Als Kind staatenloser Palästinenser aus dem Libanon in Neukölln lernt man eher Wörter wie Duldung und befristeter Aufenthalt als englische Vokabeln in der Schule. Jetzt, nach 26 Jahren in Berlin, ist der Tag gekommen: Die Frau vom Amt winkt mit der unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung. Kalila, die bildschöne Frau an der Seite Ali Hamadys freut sich – endlich ein Leben in Ruhe und Wohlstand, eine Familie, ein Ankommen.

Mehr als solider Krimistoff

So wird es nicht kommen, in der Serie „4Blocks“, die schon seit ihrer Premiere bei der Berlinale 2017 für Gesprächsstoff sorgt: Einige Kritiker sahen in „4Blocks“ so etwas wie die deutsche Antwort auf die neapolitanische Mafia-Saga „Gomorrha“ oder die erste hier produzierte Serie auf dem Niveau, mit dem die Plattform Netflix ihre Blockbuster erschafft.

Beides mag ein wenig übertrieben sein – Dominik Grafs in Berlin-Charlottenburg spielender Russenmafia-Mehrteiler „Im Angesicht des Verbrechens“ hat Maßstäbe gesetzt. „4Blocks“ lohnt sich jedoch, ist auf jeden Fall mehr als spannender, solider Kriminalstoff. Erzählt wird eine Zeitgeist-Geschichte aus der Hauptstadt, und das Interessanteste dabei ist die Perspektive: Wir sehen, wie spüren die Glanz- und Ausweglosigkeit der organisierten Kriminalität, weil wir sie mitsamt ihrem Kodex, ihrer Brutalität, ihrem Schmutz und ihrem Abschaum von innen betrachten können.

Im Zentrum steht der arabische Clanchef Ali Hamady (Kida Khodr Ramadan), den seine Freunde Toni nennen. Es geht um Drogen, natürlich, vor allem, es geht um Spielautomaten und um Revierkämpfe in den „vier Blocks“, welche die Familie beherrscht – wie sich herausstellt, gibt es mächtigere Spieler in der Stadt und andere, die nach der Macht suchen.

Der Pate will kein Bösewicht mehr sein

Hamady, ein Clanboss mit Outlaw-Burnout, nicht wirklich schicken Anzügen und poetisch traurigen Augen, führt das Leben, das manche jungen Männer in Neukölln für den besten denkbaren Fall halten: im Mercedes-Cabrio abends die Sonnenallee entlang cruisen, ein paar Läden kontrollieren, von allen respektvoll gegrüßt werden, mit Kumpels in der Table-Dance-Bar feiern und dann nach Hause zur Familie mit Prinzessinnentochter und wunderschöner Gattin in die edle Wohnung.

Bloß: Toni will das alles gar nicht. Das Autorentrio Hanno Hackfort, Bob Konrad und Richard Kropf hat sich ein tolles empathisches Momentum ausgedacht. Der Pate hat das Leben des Bösewichts satt: „Ich werde der deutscheste Deutsche“, sagt Ali zu seiner Frau, er will alles hinter sich lassen und in Immobilien machen. Weil er aber zum Kopf der Familie wird und seinen unbeherrschten Brüdern Abbas und Latif (gespielt von den Rappern Veysel Gelin und Massiv) das Feld nicht überlassen kann, gerät Toni stattdessen immer tiefer in die Spirale aus Verbrechen, Ehrenkodex und Intrigen. Die Szene auf dem Amt wird zum Schlüsselmoment: Aus dem vorgezeichneten Weg gibt es kein Entkommen.

Überall Rap im Kiez

„4 Blocks“ erzählt die Geschichte der organisierten Kriminalität arabischer Großfamilien aus der Innenperspektive – und genau da liegt die Parallele zur neapolitanischen Mafiaserie „Gomorrha“, wobei die Rolle krimineller Clans in Berlin nicht im Ansatz mit der Bedeutung der Camorra zu vergleichen ist. Auch eine der ersten Szenen der Neuköllner Erzählung verweist auf das italienische Vorbild: Zwei Zivilpolizisten verfolgen einen Dealer in die Schluchten der affenfelsenhaften Neuköllner High-Deck-Siedlung, einem sozialen Brennpunkt. Die Parallele zu den Alltagsszenen im neapolitanischen Neubauquartier Scampia ist offensichtlich, wie bei der Düsternis vieler Szenen das spärlich eingesetzte Licht und der omnipräsente Rap.

Sonst aber spielt „4 Blocks“ da, wo sich die Berliner Story besonders gut erzählen lässt: im Norden von Neukölln, jenem Kiez, der für seinen hohen Migrantenanteil, soziale Probleme und organisierte Kriminalität berüchtigt ist, sich aber andererseits seit einigen Jahren zum internationalen Party- und Hipster-Viertel mit Verdrängungseffekt entwickelt hat. Die Innensicht hindert den Regisseur und Autor Marvin Kren aber nicht daran, schonungslos die Brutalität dieser Welt zu zeigen, nichts wird verharmlost – und die Helden sind keine Helden.

Derzeit ist die erste Staffel von „4Blocks“ als DVD erhältlich und als Streamingangebot bei Amazon Prime Video.