Fahnenschwinger und Alphornbläser prägen das Klischeehafte Bild de Schweiz. Foto: dpa

Die Schweizer haben für eine Begrenzung der Zuwanderung gestimmt. Das Ergebnis sorgt auf den Straßen für Ungläubigkeit – aber auch für viel Zustimmung.

Die Schweizer haben für eine Begrenzung der Zuwanderung gestimmt. Das Ergebnis sorgt auf den Straßen für Ungläubigkeit – aber auch für viel Zustimmung.

Zürich - Frank S. lebt nun seit einem halben Jahr in Zürich. Der 32-jährige Esslinger ist Montageprojektleiter. Seine Motivation, in die Schweiz zu ziehen, war nicht das Geld, sondern die berufliche Weiterentwicklung. „Ich konnte hier mehr Verantwortung übernehmen.“ Mit dem Schweizer Alltagsleben ist S. sehr zufrieden: „Das Leben ist angenehm, die Menschen sind zufriedener und ausgeglichener. Die Infrastruktur ist sehr gut.“ Dennoch bleibt er Realist: In der Schweiz gebe es nichts, was er nicht auch in Baden-Württemberg hätte erreichen können.

Der Traum vom besseren Leben im Land von Rösti, Schokolade und Luxusuhren scheint indes für immer mehr Baden-Württemberger zu platzen. Wanderten 2008 noch 8609 Menschen aus dem Südwesten in die Schweiz aus, reduzierte sich deren Anzahl laut Statistischem Landesamt 2012 auf nur noch 6588. Und immer mehr Deutsche verlassen die Eidgenossenschaft schon nach kurzer Zeit wieder.

Leicht gestiegen ist hingegen die Zahl der Grenzgänger, die täglich zwischen Baden-Württemberg und der Schweiz pendeln: Im dritten Quartal 2013 nutzten 56.921 Menschen die Möglichkeit, Schweizer Löhne zu kassieren, aber nur deutsche Mieten und Lebensmittelpreise zu bezahlen.

Der starke Rückgang an Einwanderern lag nicht an politischen Entscheidungen im Nachbarland, sondern hatte überwiegend wirtschaftliche Gründe. Denn Barrieren gibt es keine: Die Schweiz, die 1999 das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU unterzeichnet hat, erlaubt seit Juni 2002 den problemlosen Umzug und die Aufnahme einer Beschäftigung für die meisten EU-Bürger. Die Beamten an über 60 Zollämtern und Abfertigungsstellen, die es zwischen Baden-Württemberg und der Schweiz – der einzigen echten EU-Außengrenze Deutschlands – gibt, brauchen seit Inkrafttreten des Schengen-Abkommens Ende 2008 keine Angst mehr vor Unterkühlung und Regenwetter zu haben: Ihr Hauptaugenmerk liegt heute eher auf Einfuhrzöllen oder Delikten wie Devisenschmuggel.

Das Märchen goldener Zeiten im Alpenland weicht immer mehr einem realistischeren Bild: Eine Mitarbeiterin bei einem deutschen Discounter in der Schweiz verdient 3800 Schweizer Franken (3100 Euro) brutto pro Monat. Mitarbeiter im Rechnungs- und Personalwesen werden mit monatlich 8132 Franken (6650 Euro) vergütet. Von 7270 Franken (5950 Euro), die ein Haushalt verdient, sind nach gesetzlichen Abzügen 6750 Franken übrig. Für Wohnungsmiete, Lebensmittel und Freizeitgestaltung müssen rund 5400 Franken veranschlagt werden. Bleiben im Idealfall also etwa 1350 Franken (1100 Euro) zum Sparen. Dieser Idealfall wird bei weniger gut qualifizierten Mitarbeitern oft jedoch nicht erreicht.

„Ein Freund von uns hat seinen Job verloren, weil er durch einen Grenzgänger ersetzt wurde, der 60 Prozent des Lohnes nimmt. Dumm gelaufen“, erläutert Max Heiniger. Der Schweizer ist mit einer deutschen Frau verheiratet und lebt in der Nähe von Zürich.

Jeder sechste Ausländer ein Deutscher

Das ist eine der großen Ängste von anderthalb Millionen Menschen, die am 9. Februar für eine Begrenzung der Zuwanderung gestimmt haben. Die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung befürchtet, dass der Status quo in Zukunft nicht mehr zu halten sein wird. Eine rasante Bevölkerungsentwicklung hat die Eidgenossenschaft stark wachsen lassen: Wer heute 70 Jahre und älter ist, der kennt noch eine Heimat mit knapp fünf Millionen Menschen. Aktuell wohnen in der Alpenrepublik mehr als acht Millionen.

Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung leben in den fünf größten Städten Zürich, Genf, Basel, Bern, Lausanne und deren Außenbezirken. Der Rest lebt je zur Hälfte in städtischen und ländlichen Regionen. Der Ausländeranteil beträgt 23,3 Prozent. Jeder sechste Ausländer ist ein Deutscher.

„Mehr als acht Millionen Menschen erträgt die Schweiz nicht. Nur wenig Fläche der Schweiz ist bebaubar. Sonst haben wir keine Freiräume mehr, und ohne Freiräume geht die Welt kaputt, so einfach ist das“, meint Max Heiniger. „Das Ergebnis der Abstimmung hat überhaupt nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun“, bemerkt seine Frau Siw. „Es ist die Kapazität, die den Standard sonst kaputt macht. Wir sind nicht ausländerfeindlich, aber wir möchten gerne bestimmen können, wer hier wohnt und wer hier einreist“, fügt ihr Mann hinzu.

Ob das Argument des „Zubetonierens“ und damit einhergehend ein Mangel an freien Flächen tatsächlich greift, darüber streiten sich in der Schweiz die Geister. Die offiziell ausgewiesene Landesfläche von 41.285 Quadratkilometern ist nach Meinung einiger Wissenschaftler viel zu klein bemessen. 80.000 Quadratkilometer wären realistischer, wenn man die Schweiz nicht als flaches Stück Land, sondern eben unter Einbezug ihrer Berghänge und Gipfel sehen würde. Die Gegenfraktion kontert, dass Berge nicht bebaubar seien, und vergisst anscheinend die zahlreichen Höhensiedlungen, die es seit jeher gibt. Eine dritte Fraktion merkt an, dass es ein immenses Potenzial alter Bausubstanz gäbe, deren Sanierung ganz neue Perspektiven schaffen würde.

"Gut qualifizierte Ausländer, die in unsere Sozialsysteme einzahlen, sehen wir gerne"

Jemand, der sich mit Immobilien auskennt, ist Moritz Menges. Er berät Projektpartner bei Bauvorhaben. Der 30-Jährige ist nach dem Wirtschaftsingenieur-Studium in Stuttgart nach Zürich gezogen. „Mein Fokus lag nach dem Ende des Studiums auf der Suche nach einem Arbeitsort mit sehr hoher Lebensqualität bei gleichzeitiger Nähe zur Heimat. Daneben hat mir ein Schweizer Immobilienberatungsunternehmen attraktive Arbeitsbedingungen geboten. Diese Kombination hat mich dazu bewogen, nach Zürich zu ziehen und mir hier ein neues Leben aufzubauen“, erläutert Menges. „Ein gewisses Maß an Geduld ist sicherlich förderlich, um mit den neuen Schweizer Arbeitskollegen auch private Kontakte zu knüpfen. Für mich persönlich kann ich aber sagen, dass ich mich schon nach kurzer Zeit sehr wohlgefühlt habe und bis heute enge Freundschaften schließen konnte. Ressentiments gegenüber Deutschen in der Schweiz spürt man nur vereinzelt im privaten Leben, auf beruflicher Ebene dagegen überhaupt nicht. Insgesamt bin ich mit dem Leben in der Schweiz sehr zufrieden.“

Der liberale Arbeitsmarkt in der Schweiz in Kombination mit der wachsenden Nachfrage nach Fach- und Führungskräften ermöglicht zumindest gefühlt eine sehr hohe Durchlässigkeit und dadurch berufliche Chancen. Insbesondere für junge Fach- und Führungskräfte kann dies ein wesentliches Argument sein, um sich für den Weg in das Alpenland zu entscheiden. 

Diese Chancen möchte Max Heiniger niemandem nehmen: „Das Abstimmungsergebnis an der Urne hat überhaupt nichts mit Fachkräften zu tun, die in die Schweiz kommen“, sagt er. „Gut qualifizierte Ausländer, die in unsere Sozialsysteme einzahlen, sehen wir gerne. Aber bitte keine Leute, die nur abkassieren oder nur eine kurze Zeit arbeiten, um danach Geld von der Allgemeinheit zu kassieren.“ Seine Hoffnung: „Ich will mir nicht vorstellen, dass die Schweiz jemals ein Teil der EU wird. Zuvor fällt die EU hoffentlich auseinander.“