Hält sich in Sachen Brexit-Referndum bedeckt: Jeremy Corbyn Foto: AP

Labour-Chef Jeremy Corbyn trifft sich erstaunlich oft mit dem EU-Unterhändler in Sachen Brexit, Michel Barnier. Welches Spiel treibt der linke Charismatiker von der Insel?

London -  Nicht nur mit der britischen Regierung muss Michel Barnier in diesem Herbst um eine Brexit-Lösung ringen. Neuerdings öffnet der Chefunterhändler der EU seine Brüsseler Tür auch bereitwillig der britischen Opposition.   Diese Woche bat Barnier den Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn und Brexit-Schattenminister Sir Keir Starmer zu einem längeren Gespräch zu sich. „Verhandlungen“ durfte es natürlich keine Seite nennen. Aber da sich Corbyn und Starmer am Donnerstag für eine Gedenkveranstaltung gerade in Brüssel aufhielten, bot sich ein Gedankenaustausch zwischen den Labour-Leuten und Barnier an.  

Eine gewisse Dringlichkeit hatte das Treffen zweifellos, für die europäische Seite. Gerade erst hat die Labour Party ihre Brexit-Position neu präzisiert. Die Oppositionspartei, auf die in den nächsten Wochen viel ankommt, hat gelobt, jegliche Form eines „Tory-Brexit“ im Unterhaus niederzustimmen – auch wenn es sich um einen mühsam zusammengestoppelten Deal mit der EU handeln sollte, den die Premierministerin aus Brüssel mit nach Hause bringt.   Solange May nicht noch in letzter Minute alle eigenen Prämissen über den Haufen wirft und einem Brexit zustimmt, bei dem Großbritannien in einer Zollunion mit der EU und eng an den EU-Binnenmarkt angeschlossen bleibt, will die Labour-Fraktion im Unterhaus gegen alles stimmen, was die Regierung zum EU-Austritt plant.

Corbyn will den Kollaps der Regierung

  Ein Einlenken auf Labours Vorstellungen aber ist für May so gut wie unmöglich. Das weiß auch Corbyn. Erzwingen will er im Grunde den Kollaps der Regierung und Neuwahlen. Sollte es dazu nicht kommen, ist für Labour jetzt auch ein erneutes Brexit-Referendum nicht mehr tabu.   Mit seinem klaren Nein zu Theresa Mays Verhandlungszielen hat Corbyn die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass in Westminster in den nächsten Wochen Chaos herrscht. Denn außer den Oppositionsparteien würde auch eine Gruppe proeuropäischer Abgeordneter im Regierungslager gegen einen harten Brexit votieren.

  Kaum war der Labour-Parteitag diese Woche zu Ende, wurde aus Brüssel gemeldet, dass man sich in Europa nun auf alles gefasst machen müsse. Vorbereitungen für eine No-Deal-Situation wurden britischen Berichterstattern zufolge unmittelbar intensiviert.   Kein Wunder, dass Michel Barnier gern von Corbyn selbst hören wollte, was der im Schilde führt. Zwei Stunden dauerten die Gespräche. Anschließend meldete Corbyn, er habe Barnier schlicht die Labour-Position auseinandergesetzt – und sei davon beeindruckt gewesen, wie genau der EU-Unterhändler Bescheid wusste über alles, was auf dem Labour-Parteitag gesagt worden war.

Ein zweites Referendum?

  „Verhandlungen“ habe er keine geführt, beteuerte Corbyn, da Labour ja „leider nicht an der Regierung“ sei in London. Weitere Treffen mit Barnier seien aber geplant. Offenbar wird Jeremy Corbyn als Teil des komplizierten Londoner Brexit-Puzzles von Brüssel zunehmend ernst genommen, je mehr die Verhandlungen sich ihrem Ende zuneigen und je weniger die Tories sich auf eine Lösung einigen können.  

Unterdessen herrscht in der Labour Party selbst noch immer Unklarheit darüber, ob Jeremy Corbyn im Falle des Falles wirklich ein neues Brexit-Referendum unterstützen würde, bei dem sich die Wähler auch für den Verbleib in der EU aussprechen könnten. „Von niemandem ausgeschlossen“ werde eine solche Variante in der Partei, hat Schattenminister Starmer betont. Corbyn hat dieser Erklärung an sich nicht widersprochen. Er hat allerdings auch nicht versichern wollen, dass es dazu am Ende wirklich kommt.