Die Prostituierte und der Flüchtling: Jella Haase und Welket Bungué in „Berlin Alexanderplatz“. Foto: Sommerhaus/eOne/Stephanie Kulbach

Burhan Qurbanis „Berlin Alexanderplatz“ ist ein monströses Spielfilm-Drama, das den Schauspielern viel abverlangt hat. Wie das ging, erklären Welket Bungué, Jella Haase und Albrecht Schuch.

Stuttgart - Der Regisseur Burhan Qurbani und der Produzent Jochen Laube haben sich an der Ludwigsburger Filmakademie kennengelernt. Folgerichtig fand die Südwest-Premiere ihres Films von „Berlin Alexanderplatz“, eine ins zeitgenössische Flüchtlings- und Gangster-Milieu verlegte Adaption von Alfred Döblins Roman, im Ludwigsburger Scala-Kino statt – in Anwesenheit der drei Hauptdarsteller, die in Interviews bereitwillig Auskunft gaben.

Jella Haase

Geboren 1992 in Berlin, machte sie in dem Neonazi-Drama „Kriegerin (2011) auf sich aufmerksam. Im „Tatort: Puppenspieler“ (2013) war sie als minderjährige Prostituierte zu sehen und spielte dann die Schülerin Chantal in allen drei Teilen der Komödienreihe „Fack ju Göhte“ (2014–2017) .

Frau Haase, Sie spielen die Prostituierte Mieze – wie stellt man sich auf so ein Berufsbild ein?

Wir wollten Mieze selbstbestimmter zeichnen als im Roman. Sie ist in dem Sinne emanzipiert, dass sie ihr eigenes Geld verdient. Ich möchte Prostitution nicht schönreden, aber sie wird gerne tabuisiert und gleichgestellt mit Ausbeutung. Wir haben mit Sexarbeiterinnen gesprochen und gesehen: Es gibt eine Grauzone, viele machen das freiwillig und erarbeiten sich einen Wohlstand.

Tatsächlich ist Mieze ein Lichtblick in diesem Film voller harter Typen...

Mit Mieze kommt eine Leichtigkeit in den Film, der ja manchmal schwer zu ertragen ist. Das war wohl Burhans Vision, etwas Pures im Film zu haben, etwas Zerbrechliches, Zartes, ganz Ehrliches und Aufrechtes.

Wie geht man mit krassen Szenen um?

Ich habe gemerkt, wie mich das einsaugt. Vor schwierigen Szene hatte ich Tage zuvor so etwas wie eine Einflugschneise, ich habe mich darauf zu manövriert. Ich bin ein heiterer Mensch und freue mich, wenn ich die Rolle wieder abstreifen kann. Manchmal bin ich aber morgens aufgewacht und war verwirrt, weil man sich nach diesen emotionalen Untiefen erstmal wieder stabilisieren muss. Auch das toxische Verhältnis zwischen den Figuren muss man wieder abschütteln.

Sie haben mit Bora Dagtekin und Burhan Qurbani gedreht, Alumni der Ludwigsburger Filmakademie – hat diese Schule ein Geheimnis?

Mein erster Film war der Kurzfilm eines Ludwigsburger Studenten, deshalb ist das wie ein Nachhausekommen. Bora und Burhan sind prägende Figuren in meiner Karriere, mit denen ich jeden Weg weitergehen würde. Dieses Business ist nicht immer nur schön, und es ist schon sehr besonders, wenn man Menschen findet, denen man vertrauen kann, bei denen man sich fallenlassen kann.

„Berlin Alexanderplatz“ lief im Berlinale-Wettbewerb – wie hat sich das angefühlt?

Das ist für alle Schauspieler ein großer Traum, dafür pocht unser Herz. So einen urdeutschen Stoff zu nehmen, ihn ins heute zu transformieren und daraus ein universell greifbares Thema zu machen, ist ein Wagnis, und ich glaube an das Glück der Mutigen. Die Standing Ovations in Berlin haben uns umgehauen, das ist das größte Geschenk. Die Menschen nehmen den Film an, obwohl er so heftig ist. Er tut halt weh, aber er macht bewusst, dass man ganz viel nicht wahrnimmt.

Welket Bungué

Geboren 1988 im westafrikanischen Guinea-Bissau, wuchs er mit portugiesischer Staatsbürgerschaft seit seinem dritten Lebensjahr in Portugal auf. Er studierte Schauspiel in Lissabon und Rio de Janeiro und wirkte in über 40 vor allem portugiesischen Produktionen mit. Die Besetzung in „Berlin Alexanderplatz“ ist seine erste Rolle in einem deutschen Film.

Herr Bungé, wie war das für sie, den Flüchtling Francis in prekärer Lage zu spielen?

Ich hatte keine nähere Erfahrung mit Flüchtlingen, mit diesen verborgenen Menschen, die manchmal sogar Nahestehende opfern müssen, um zu überleben. Ich habe versucht, respektvoll zu sein und dieser Figur meine Stimme, meinen Körper und meine Seele zu geben. Wir haben einen Film gemacht für alle, die die freiheitliche Demokratie feiern und sie retten wollen vor autoritären Ideologien, die sie bedrohen.

Es war ihr erster Film auf Deutsch...

Ich habe diese sehr schwierige Sprache extra gelernt. Ich musste sie mit Selbstbewusstsein verkörpern, denn Francis wird im Laufe des Films germanisiert: Er geht anders, spricht anders, erreicht bestimmte Dinge.

Francis will stark sein, auch wenn es seinen Untergang bedeutet. Wie spielt man so einen?

Albrecht und ich haben uns hineinfallen lassen in die Charaktere, in die Konflikte und in den großen Kontrast zwischen dem, was sie sagen und was sie tun. Das Geheimnis ist ein gutes Drehbuch, das über die Figuren nicht urteilt und den Schauspielern die Möglichkeit gibt, sie glaubwürdig zu interpretieren. Dadurch wird der Film universell und berührt. Er spielt in einem surrealen Mikrokosmos, den wir als Berlin definieren, es könnte aber jeder Ort sein, an dem es Unterdrückung gibt, an dem alle hart ums Überleben kämpfen und auch etwas opfern, um sich von ihren Sünden zu befreien.

Das klingt sehr katholisch…

Der Film ist religiös. Francis kehrt immer wieder zurück, weil Reinhold stark ist wie er oder sogar stärker, der einzige, der ihn verstehen kann. Und Reinhold verliert an Kraft, wenn Francis nicht in der Nähe ist. Es ist ein selbstzerstörerischer Magnetismus.

Kann die Black Lives Matter-Bewegung dem Film helfen?

Die Leute machen sich jetzt bewusst, woher Rassismus kommt und wie er wirkt. Wir brauchen mehr Diversität auf der Leinwand, mehr repräsentative Stimmen. Unser Film geht aber weiter, er handelt auch von der Macht und Dominanz von Männern und der Ausbeutung von Frauen. All dem widmet er sich auf poetische Weise durch die Augen eines Neuankömmlings.

Albrecht Schuch

Geboren 1985 in Jena, studiert er Schauspiel in Leipzig und tritt seit 2007 im Kino und im Fernsehen auf. Er spielte einen Investment-Banker in der ZDF-Serie „Bad Banks“ (seit 2018). Im Kino war er als Erzieher in „Systemsprenger“ (2019) zu sehen, ebenso eine Produktion von Absolventen der Ludwigsburger Filmakademie wie das Drama „Berlin Alexanderplatz“, in dem Schuch nun Reinhold spielt. Für diese beiden Rollen wurde er beim Deutschen Filmpreis sowohl als bester Haupt- als auch als bester Nebendarsteller ausgezeichnet.

Herr Schuch, wie eignet man sich eine Figur wie den Gangster Reinhold an, der empathisch wirken kann und doch allen Gewalt antut?

Ich wusste, er hat einen sehr ausgemergelten Körper und etwas sehr Strenges gegenüber sich selbst und anderen. Und er täuscht vermeintliche Schwäche vor, er bückt sich und verneigt sich, um anderen ein Gefühl der Stärke zu geben und die Situation dann total umzudrehen. Was die Körperlichkeit angeht, helfen Figuren wie Mephisto oder Richard III., aber auch Döblins Roman. Er schreibt über Reinhold: „Er markiert“, er tut so, als ob. Das war für mich der Freifahrtschein, Danke Herr Döblin! Es ist Fluch und Segen zugleich, den Teufel spielen zu dürfen, weil man erstmal alles machen kann, aber dann im Austausch mit den anderen entscheiden muss, welche der zur Verfügung stehenden Mittel er nutzt, um Menschen zu verführen und auszusaugen.

Wie nah mussten Sie ihn an sich heranlassen?

Ich wusste: Das geht nur ganz oder gar nicht. Da kann man vielleicht fünf Zentimeter Platz lassen zwischen sich und der Figur, sonst wird das nichts. Und dazu brauche ich viel Schutz, beginnend beim Regisseur. Bei Burhan wusste ich: In habe einen Komplizen, der mich im Falle einer Traurigkeit herausholen und sagen kann: „Mach mal Schluss für heute, das Spiel ist zu Ende.“

Wie wird man einen wie Reinhold wieder los?

Ich hatte viele Rituale, Schwimmen gehen, Atemübungen, Selbstgespräche, um sicherzustellen, dass das Spiel vorbei ist. Wie jeder, der eine Rolle spielt, muss auch ich einen Schalter umlegen.

Haben Sie vor Drehtagen Phasen der Konzentration gebraucht, um in die Rolle zu finden?

Helena Zengel hat mich beim „Systemsprenger“ Dreh wieder an die Leichtigkeit im Spiel erinnert. Sie hat die schwierige Rolle als problematisches Kind angenommen und wieder losgelassen, geschützt durch die Regisseurin Nora Fingscheidt, die ihr immer wieder die Unterschiede klargemacht hat zwischen ihr als Persönlichkeit und der Figur. Da wurde mir klar: Ich muss nicht vorher drei Stunden in eine Trauer gehen oder durch fünf Tage Schlafentzug, sondern einfach darauf vertrauen, dass es passiert.