Die Gemeinde am Fuß des Hausbergs Jusi ist besonders betroffen: In Kohlberg sind schon fünf Covid-19-Todesfälle zu beklagen. Foto: Horst Rudel

Fünf Menschen in Kohlberg sind nach einer Corona-Infektion gestorben – haben sie sich bei einer Beerdigung in dem Dorf im Kreis Esslingen angesteckt?

Kohlberg - Lediglich eine Handvoll Menschen und noch weniger Autos sind auf den Straßen unterwegs. In den Betrieben wird, wenn überhaupt, auf Sparflamme gearbeitet. Die Postfiliale hat kaum Kundschaft. Und auch der Bankautomat muss nur selten ein paar Scheine ausspucken. Vor dem Bäcker sowie beim neuen Nahversorger „Tante m“ im Rathaus machen die Leute das, was sie sollen: Das nötigste für den täglichen Bedarf einkaufen und – Abstand halten.

In Kohlberg ist die Situation in diesen Tagen auf den ersten Blick nicht anders als in anderen Dörfern. Das Coronavirus hat dafür gesorgt, dass das öffentliche Leben weitgehend zum Erliegen gekommen ist. Doch der 2300-Seelen-Ort stellt dennoch eine Ausnahme dar: Sind die Fallzahlen im Kreis Esslingen mit deutlich mehr als 1000 Erkrankten ohnehin schon die höchsten im Land, bildet Kohlberg – prozentual gesehen – einen Infektionsschwerpunkt. Fünf Menschen sind bereits an Covid-19 gestorben, 13 weitere Infektionen mit dem Virus sind bestätigt. Für den Bürgermeister Rainer Taigel ist genau das der Grund, das Thema ebenso offensiv wie öffentlich anzugehen, um der Bevölkerung die kritische Lage und die damit verbundenen Maßnahmen zu erläutern.

Rainer Taigel: Wir machen deutlich, was jeder für sich und für uns alle tun muss

Mit einem offenen Brief hat er sich direkt an die Kohlberger Bürgerschaft gewendet: um ausführlich zu informieren, um seiner Betroffenheit Ausdruck zu verleihen, aber auch, um Gerüchten vorzubeugen. Dass das ein Balanceakt ist, weiß der Schultes sehr wohl: „Mir geht es darum, auf den Ernst der Lage hinzuweisen, allerdings ohne Panik zu erzeugen.“ Dementsprechend wählt Rainer Taigel sein Worte in dem Schreiben: „Wir haben aktuell fünf Todesfälle von Covid-19 erkrankten Mitmenschen in Kohlberg zu beklagen. Viele von Ihnen haben sie gekannt, geschätzt und geliebt. Ich kannte ebenfalls die meisten von ihnen und bin tief betroffen. Wertvolle Menschen sind von uns gegangen.“ Seine Gedanken und sein Mitgefühl seien bei den trauernden Angehörigen und Freunden. „Viele von Ihnen sind nun selbst durch Quarantänen betroffen und können nicht im Kreis der Familie und der Freunde Abschied nehmen. Das fällt schwer und ist kaum auszuhalten. Das verstehe ich“, schreibt Taigel.

Zugleich macht der Rathauschef jedoch deutlich, „was Sie für sich und uns alle tun müssen“. In Abstimmung mit dem schon vor einiger Zeit eingerichteten Krisenstab appelliert Taigel einmal mehr an die Bewohner, sich strengstens an die geltenden Bestimmungen zu halten, etwa an Ausgangsbeschränkungen, an die Quarantäneregeln und daran, mögliche Kontakte mit Infizierten zu melden. Zudem seien natürlich die allgemeinen Empfehlungen zum Abstand-Halten und zur Hygiene zu beachten.

Möglichkeiten zur Ansprache und zur Information sowie weitere Angebote

Der Bürgermeister räumt zwar ein, „dass die Situation viele von uns mit einem Gefühl der Ohnmacht zurücklässt“. Er weist aber zugleich darauf hin, dass es so nicht sei, dass man, wo immer es gehe, proaktiv bleibe und seitens der Verwaltung und des Krisenstabs etliche Möglichkeiten zur Ansprache und zur Information sowie weitere Angebote machen könne. Auch er selbst sei praktisch rund um die Uhr erreichbar.

Wie und warum es überhaupt zu der prekären Corona-Lage in Kohlberg kommen konnte, möchte Rainer Taigel, unter anderem mit Verweis auf den Datenschutz, nicht im Detail ausführen. Er weist allerdings Einlassungen und Berichte zurück, dass es in Kohlberg eine Party gegeben habe. „Ja, es gibt Zusammenhänge. Und ja, es gab Kontakte unter den Erkrankten und Verstorbenen, allerdings vor der Zeit der behördlichen Kontaktbeschränkungen.“ Richtig sei auch, dass es sich bei den Betroffenen vor allem um ältere Mitbürger handelt, ergänzt er.

Ortspfarrer hält Vorwürfe, aber auch Selbstvorwürfe, für deplatziert

Harald Geyer, seit 27 Jahren evangelischer Ortspfarrer in Kohlberg und ebenfalls Mitglied des Krisenstabs, wird ein wenig konkreter. „Ich will nicht, dass der Eindruck entsteht, bei uns im Dorf sei geschludert worden“, betont er. Vielmehr nähme die Bevölkerung die Lage sehr ernst. „Wir hatten allerdings am 12. März, also direkt am Tag bevor die ganzen Beschränkungen in Kraft getreten sind, eine große Beerdigung, bei der wohl auch viele der Infizierten waren“, sagt Geyer. Niemandem könne also ein Vorwurf gemacht werden und niemand müsse sich deshalb selbst Vorwürfe machen, fügt er hinzu.

Umso wichtiger sei es nun die gesetzlichen Vorgaben zu beachten. „Die Verbote und Regelungen machen aus meiner Sicht Sinn“, erklärt der Pfarrer. Und die Menschen seien da auch einsichtig, wenngleich es nicht zuletzt bei einigen Älteren ein wenig Überzeugungsarbeit brauche. „Das liegt womöglich an deren Lebensweg. Viele haben schon einiges mitgemacht und alles überstanden.“ In diese Denkweise müsse man sich ebenso einfinden wie in die Notwendigkeit, sich an die momentanen Vorgaben zu halten , sagt Geyer.

Harald Geyer: Urnenbeisetzung auf späteren Termin verschieben

Dass dies gerade Familien, die jetzt durch Covid-19 einen geliebten Menschen verloren haben, nicht leicht falle, steht für den Geistlichen außer Frage. Aber die Regeln seien klar. „Zu einer Bestattung dürfen nur die engsten Angehörigen und nicht mehr als 15 Leute kommen. Und wer unter häuslicher Quarantäne steht, ohnehin nicht.“ In seinen Gesprächen weist Harald Geyer zurzeit deshalb auf eine mögliche Alternative hin. „So empfehle ich etwa, eine Urnenbeisetzung auf einen späteren Termin zu verschieben. Dann kommt keiner in die Bredouille oder in Gewissenskonflikte und kann dennoch gebührend Abschied nehmen.“

Dass dieses Handeln gerade in der Trauer nicht leicht fällt, steht außer Zweifel. Es wird also in vielerlei Hinsicht noch einige Zeit dauern, bis in Kohlberg auch nur ansatzweise wieder das alltägliche öffentliche Leben Einzug halten wird.