Angela Merkel und Ungarns Regierungschef Viktor Orban beim EU-Gipfel Foto: AFP

Die EU-Staaten einigen sich auf radikalere Wege zur Bekämpfung der illegalen Zuwanderung. Doch die Nagelprobe steht erst noch bevor

Brüssel - Zehn Stunden verhandelten die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel über schärfere Maßnahmen gegen die illegale Zuwanderung nach Europa und das Geschäft der Menschenhändler auf dem Mittelmeer. Herausgekommen ist ein Zwölf-Punkte-Paket, das einschneidende Schritte vorsieht. Vor allem soll der Schutz der EU-Außengrenze verstärkt werden. Ziel ist, möglichst wenig illegale Migration zuzulassen.

Was bringt Angela Merkel mit nach Hause für den Streit mit der CSU?
Der Gipfel gibt der Bundeskanzlerin freie Hand, zwischenstaatliche Vereinbarungen abzuschließen, um die Zuwanderung von bereits registrierten Flüchtlingen nach Deutschland einzudämmen. „Die Mitgliedstaaten sollten dazu alle erforderlichen Rechtsetzungs- und Verwaltungsmaßnahmen ergreifen und eng bei der Bekämpfung der Binnenmigration zusammenarbeiten“, steht im Gipfeldokument, das alle mittragen.
Schließt Deutschland bilaterale Vereinbarungen über die Rück-führung von Asylbewerbern?

Griechenland und Spanien sind bereit, Flüchtlinge zurückzunehmen, die an der deutsch-österreichischen Grenze ankommen und zuvor in diesen Ländern registriert worden waren. Deutschland will im Gegenzug die Familienzusammenführung von Flüchtlingen aus diesen beiden Ländern nach Deutschland beschleunigen. Dazu wurden Verwaltungsvereinbarungen geschlossen. Eine Reihe von Ländern ist zudem nach Merkels Worten bereit, Verwaltungsvereinbarungen mit Deutschland mit dem Ziel abzuschließen, Flüchtlinge auf der Basis eines verkürzten Verfahren in die Länder zurückzuführen, wo sie zunächst ihren Antrag gestellt haben. Dafür will Merkel das deutsche Asylgesetz ändern. Welche Länder dies sind, will sie in Deutschland bekannt geben.

Gibt es neue EU-Lösungen?
Angela Merkel war hier erfolgreich. Anders als ihr Widersacher Horst Seehofer hat sie immer auf europäische Lösungen gesetzt. Der Gipfel hat viele neue Maßnahmen beschlossen, die von allen 28 Mitgliedstaaten getragen werden. Bemerkenswert ist, dass sich auch die sperrigen Regierungen der vier Visegrad-Länder Polen, Tschechien, Ungarn und der Slowakei sowie Italien hinter die Beschlüsse stellen.
Welchen Preis bezahlt Merkel ?
Der Preis ist hoch: Deutschland hat immer darauf bestanden, dass alle 28 EU-Länder sich an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen müssen. Quoten zur Verteilung von Flüchtlingen sind erst einmal vom Tisch, das Wort Solidarität taucht im Gipfeldokument nur im Zusammenhang mit dem Wort „freiwillig“ auf. Andrej Babis, der rechtskonservative Regierungschef Tschechiens, triumphiert auf Twitter: „Wir haben erreicht, dass niemand mehr über Quoten redet.“ Niemand wolle Prag mehr „Flüchtlinge aufzwingen“. Ganz vom Tisch ist das Thema aber nicht: Beim Gipfel im Oktober soll wieder darüber debattiert werden.
Welche Lager plant die EU außerhalb Europas?
Es geht um Zuwanderer, die illegal nach Europa kommen wollen. Für sie strebt der Gipfel Lager an, in denen schnell zwischen Wirtschaftsmigranten, die keinen Anspruch auf Asyl haben, und möglicherweise politisch Verfolgten unterschieden werden. Es sind zwei Arten von Lagern im Gespräch: Zum einen soll es Zentren, im EU-Jargon „Ausschiffungszentren“, irgendwo in Nordafrika geben. Dort sollen Menschen hingebracht werden, die bei der Überfahrt übers Mittelmeer gestoppt wurden und noch nicht in EU-Hoheitsgewässern waren.
Die Zentren sollen in Zusammenarbeit mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk und der Internationalen Organisation für Migration betrieben werden. Ziel: Es soll sich unter Zuwanderern herumsprechen, dass sich die gefährliche und teure Überfahrt nicht lohnt, weil Menschen aus sicheren Herkunftsländern gar nicht erst nach Europa gelangen. Bislang gibt es jedoch noch kein Land außerhalb der EU, das sich zur Einrichtung eines derartigen Lagers bereit erklärt hätte.
Welche Lager plant die EU innerhalb Europas?
Hier soll das Gleiche passieren: Es soll schnell geklärt werden, ob Aussicht auf internationalen Schutz besteht. Kein Land kann aber verpflichtet werden, Lager einzurichten. Griechenland und Italien sollen bereits Interesse bekundet haben. Die Aufnahme in diesen „kontrollierten Zentren“ heißt nicht, dass Menschen mit Anspruch auf Asyl auch in dem Land bleiben müssen. Sie können umverteilt werden.
Wie wird der Grenzschutz verstärkt?
Die EU-Grenzschutzagentur Frontex soll bis 2020 auf 10 000 Mann aufgestockt werden. Die libysche Küstenwache und Italien sollen bei der Überwachung der Mittelmeerroute unterstützt werden. Außerdem will die EU nach dem Muster des Türkei-Deals Abkommen mit Transitländern rund ums Mittelmeer schließen. Sie sollen Geld dafür bekommen, dass sie illegale Grenzübertritte unterbinden und illegal eingereiste Migranten zurücknehmen. Spanien ist hier im Gespräch mit Marokko. Die EU finanziert die Deals.
Wie viel Geld macht die EU locker?
Der Gipfel macht den Weg frei für die zweite Tranche von drei Milliarden Euro für die Türkei. Damit bekennt sich die EU zum Abkommen mit der Türkei, die seit 2016 illegale Migration in der Ägäis erfolgreich unterbindet. Außerdem sollen 500 Millionen Euro zusätzlich an den EU-Treuhandfonds für Afrika gehen. Die Lebensbedingungen auf dem Nachbarkontinent sollen verbessert werden.