Viele Schulen scheuen sich davor, Verantwortung für Kinder und Jugendliche mit Diabetes zu übernehmen. Die Waldschule in Degerloch geht einen anderen, einen neuen Weg. Foto: dpa

Mit dem Beginn des neuen Schuljahres gehen in der Waldschule in Stuttgart-Degerloch auch die Ende des vergangenen Schuljahres ausgebildeten Diabetes-Coaches an den Start. Sie helfen Mitschülern im Alltag, die an Diabetes Typ 1 erkrankt sind.

Degerloch - Die Zahl junger Menschen, die an Diabetes Typ 1 erkranken, nimmt zu. Um Kindern und Jugendlichen, die an der Autoimmunkrankheit leiden, einen möglichst normalen Schulalltag zu gewähren, hat sich die Degerlocher Waldschule dazu entschlossen, sich besonders auf Kinder mit Diabetes Typ 1 einzurichten. In der Privatschule mit Gymnasium und Realschule, die vom nun beginnenden Schuljahr an auch zwei erste Grundschulklassen hat, wurden nicht nur sämtliche Grundschullehrer für den Umgang mit solchen Schülern ausgebildet.

Voriges Jahr gab es vier betroffene Schüler

Die Waldschule hat Ende des vergangenen Schuljahrs auch zehn Neunt- und Zehntklässler geschult, die ihren Kameraden künftig als Diabetes-Coaches zur Seite stehen. Aus gutem Grund: Im vergangenen Jahr besuchten vier Schüler mit Diabetes Typ 1 die Waldschule; für die beiden neu eingerichteten ersten Grundschulklassen wurden zwei Kinder angemeldet, die an der Autoimmunerkrankung leiden.

Laut dem Schulleiter Kai Buschmann will die Waldschule am Degerlocher Georgiiweg auf Schüler mit Diabetes Typ 1 vorbereitet sein, weil eine steigende Zahl an Erkrankten prognostiziert ist. Mit ihrem Engagement steht die Waldschule bislang allein. Viele anderen Bildungseinrichtungen wollen während der Unterrichtszeiten keine Verantwortung für an Diabetes erkrankte Kinder übernehmen. Dies sei bei einer Sitzung des Schulbeirats der Stadt Stuttgart vor mehr als zwei Jahren deutlich geworden. Die damalige Schulbürgermeisterin Susanne Eisenmann, Schirmherrin der Initiative Kinder Diabetes Stuttgart (Kidis), hatte sich erkundigt, wie denn Kinder mit der Autoimmunerkrankung betreut würden. „Die Antworten waren damals sehr ernüchternd“, blickt Buschmann zurück.

Waldschule setzt in verschiedenen Bereichen auf Coaches

Die Waldschule setzt schon seit geraumer Zeit „auf das pädagogische Konzept der Coaches, sprich: Schüler helfen Schülern“, sagt Buschmann. Coaches für Tennis oder Bewegungsspiele gebe es schon. Coaches für die sogenannten Mint-Fächer, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, wolle man ebenfalls ausbilden. Nun habe man mit dem Verein Diabetiker Baden-Württemberg (DBW) und mit der Unterstützung des Olgahospitals aber zunächst Diabetes-Typ-1-Coaches ausgebildet. Die Betroffenen fühlen sich sicherer, „wenn sie von Leuten umgeben sind, die sich mit der Krankheit auskennen“, sagt Buschmann zur Motivation, Schüler und Lehrer umfassend mit der Krankheit vertraut zu machen.

Während die Grundschullehrer alle eine Schulung durch den DBW erhielten, beschäftigten sich die Schüler vor allem im Rahmen einer Projektwoche mit Diabeteserkrankungen unterschiedlicher Facetten. Und mit den möglichen Maßnahmen bei Unter- oder Überzuckerung und zur Vermeidung von Stoffwechselentgleisungen. „Die Schüler haben sich mit dem Kinderpsychologen und Buchautor Béla Bartus mit der Frage beschäftigt, wie sich die Dauererkrankung auf die Kinder und die Familien auswirkt“, sagt Kai Buschmann.

Das Programm ist deutschlandweit einzigartig

„Der angstfreie Umgang mit der Diabeteserkrankung der uns anvertrauten Kinder ist unabdingbar. Handlungssicherheit ist hier das zentrale Element“, erklärt die Chemielehrerin Franziska Lehmann-Eser. Sie hatte das Programm für die Projektwoche entwickelt und die Schüler bei der Ausbildung begleitet. Nicht nur in Stuttgart und Baden-Württemberg leistet die Waldschule nun Pionierarbeit. „Nach unserer Kenntnis sind wir in Deutschland die erste allgemeinbildende Schule, die ein solches Programm umsetzt“, sagt Buschmann. Mit dem jetzt Erreichten sei das Ende der Fahnenstange aber noch nicht erreicht. Buschmann will, „dass bald alle unsere Lehrer für den Umgang mit Diabetes Typ 1 geschult sind“. Erfreulich für ihn: Eine Schülerin sei inzwischen so gut stabilisiert, dass sie trotz ihrer Krankheit ein Auslandsjahr absolvieren könne.

In Stuttgart sind nach Schätzung des Olgahospitals aktuell 70 Kinder und Jugendliche von der Autoimmunerkrankung Diabetes Typ 1 betroffen. Das Diabetes-Inzidenz-Register Baden-Württemberg rechnet damit, dass sich diese Zahl bis in zehn Jahren mehr als verdoppeln wird.