Auf einer Wellenlänge: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (links) und der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann. Foto: dpa

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erwartet eine Polarisierung der Arbeitswelt durch die Digitalisierung. Beim DGB-Bundeskongress ermahnt er die Internetfirmen, im Sinne der sozialen Marktwirtschaft Verantwortung zu übernehmen.

Berlin - Wer, wenn nicht das selbst ernannte „Parlament der Arbeit“, soll die Leitlinien für die Arbeitswelt der Zukunft einziehen? 400 Delegierte beraten in dieser Woche auf dem Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), wie Errungenschaften bewahrt und neue Herausforderungen bewältigt werden. „Wir verteidigen die Würde von Arbeit und werden ihren Wert steigern“, kündigte DGB-Chef Reiner Hoffmann zum Auftakt in Berlin an. Der Mensch und nicht das technisch Machbare gehöre in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung.

Der wichtigste Impulsgeber war am Sonntag der erste Mann im Staat: „Ich nehme die Prognosen ernst, die vor einer Polarisierung der Arbeitswelt warnen“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Während die Löhne, Honorare und Gewinnbeteiligungen bei den Hochqualifizierten und Flexiblen steigen, bestehe die Gefahr, dass für weniger qualifizierte und nicht mobile Menschen weniger Arbeit bleibt. Dann werde der gesellschaftliche Zusammenhalt brüchig, und soziale Sorgen verwandelten sich in politischen Protest. „Gerechtigkeits- und Verteilungsfragen werden an Brisanz gewinnen“, prophezeite Steinmeier. Bei vielen Gesprächen in den Betrieben nehme er Ängste vor den Untergangsszenarien wahr, die derzeit die Runde machten. Die Arbeit der Zukunft habe aber nur dann eine Zukunft, wenn Arbeitnehmer ihren Lebensunterhalt aus ihrem Arbeitseinkommen bestreiten können. „Wir müssen Digitalisierung so gestalten, dass sie Arbeit aufwertet und nicht ersetzt.“ Seriösen Schätzungen zufolge, wie sie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) abgibt, können dadurch bis 2025 insgesamt 1,5 Millionen Jobs verloren gehen, zugleich können aber auch 1,5 Millionen neue Jobs entstehen.

„Wirtschaft darf sich nicht entziehen“

Der Bundespräsident forderte – aufgrund seiner sozialdemokratischen Wurzeln wenig überraschend – „einen starken und streitbaren DGB“. Zugleich bräuchte es aber Unternehmen, die im Sinne der sozialen Marktwirtschaft Verantwortung übernehmen. „Eine Arbeitsteilung, nach der die Wirtschaft den Nutzen aus der Digitalisierung ziehen kann, während Politik und Gewerkschaften hinterherräumen – das wird nicht funktionieren“, mahnte das Staatsoberhaupt. Die Zukunft der Arbeit zu gestalten sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der sich die Wirtschaft nicht entziehen dürfe. Wenn dies der Eindruck sei, der bei den Menschen ankomme, werde jene Lust auf Zukunft verloren gehen, die Deutschland bis jetzt auszeichne. Freilich werde die Bundesrepublik den Weg nicht alleine gehen können. Das Beispiel des US-Unternehmens Apple, das nach einer Intervention der Europäischen Kommission in Irland eine Rekordsumme von 13 Milliarden Euro Steuern nachzahlen muss, zeige: „Wir werden die Ethik der Digitalisierung nur zusammen in Europa durchsetzen können.“

„Moderne Sklaverei“ in der Internet-Wirtschaft

Steinmeier nahm damit eine Vorlage des DGB-Chefs auf: Es entstehe ein „digitales Proletariat, wenn wir die Spielregeln für die Plattform-Ökonomie und für den digitalen Kapitalismus nicht grundlegend weiterentwickeln“, hatte Reiner Hoffmann vor den Internetfirmen gewarnt. Der Fahrdienstleister Uber weigere sich genauso wie andere Online-Vermittler, seine Verantwortung als Arbeitgeber anzuerkennen. Nach Schätzungen des DGB arbeiten weit mehr als zwei Millionen Menschen in Deutschland in der Plattform-Ökonomie. Unter ihnen sind annähernd eine Million Beschäftigte als sogenannte Crowdworker registriert, deren Dienste Firmen online ordern können. Nur ein kleiner Teil kann davon leben. Hoffmann nennt dies „moderne Sklaverei“.

An diesem Montag steht die Neuwahl des DGB-Bundesvorstands an. Hoffmann dürfte dabei – nach der Stimmung der Delegierten zu urteilen – ein sehr gutes Ergebnis erhalten. Sein ausgleichender Umgang mit den acht Einzelgewerkschaften und sein konstruktiver Umgang mit der Politik kommt gut an. Auch die Kanzlerin mag den stets freundlichen Arbeiterführer. Angela Merkel hat sich für Dienstag angesagt. Dass sie dem DGB weitere Impulse zu geben vermag, muss sie aber noch beweisen.