Antionio Rüdiger hat seine Wurzeln beim VfB, spielt inzwischen für den FC Chelsea. Foto: Getty

Der Innenverteidiger Antonio Rüdiger vom FC Chelsea nimmt sich den Löwen aus der Tierwelt als Vorbild – und will bei der Weltmeisterschaft angreifen. Der Ex-VfB-Profi ist in der Abwehr flexibel einsetzbar.

Eppan - Es ist eine ebenso beliebte wie abgedroschene Floskel, die gerne bemüht wird, wenn ein Fußballer großen Einsatz zeigt. Gekämpft wie ein Löwe habe er, heißt es dann, und dazu reichen in der öffentlichen Wahrnehmung gerne schon drei saubere Grätschen während der 90 Minuten.

Bei Antonio Rüdiger gestalten sich die Dinge anders, denn er kämpft nicht wie ein Löwe. Er ist ein Löwe. Das behauptet: Antonio Rüdiger selbst.

„Der Löwe interessiert mich wirklich“, sagt er, „ich setze mich im Zoo gerne vor seinen Käfig und beobachte ihn. Er ist so mächtig, er hat eine Aura. In ihm sieht man nur Stärke – und keine Schwäche. Er hat keine Angst.“ Rüdiger ergänzt, dass der Löwe genau seinem Naturell entspreche, denn: „Egal, wer vor mir steht, Angst werde ich nie haben.“

So überrascht es kaum, dass sich Rüdiger auch auf fremdem Terrain sofort zurechtfindet und angriffslustig ist. An der Südtiroler Weinstraße bereitet sich der Profi des FC Chelsea mit der Nationalelf auf die WM vor – und der Löwe gibt Gas auf dem Trainingsplatz. Das satte, bewässerte Grün der Sportzone Rungg nahe Eppan ist seine neue Komfortzone. Er teilt aus, er steckt ein. Er markiert sein Revier. So, wie er das auch bei seinem Verein in London tut, wo er als Innenverteidiger Stammkraft ist und in diesem Jahr den FA-Cup holte.

Antonio Rüdiger lässt sich nicht unterkriegen

Das alles macht selbstbewusst, und so trat Rüdiger nach der Trainingseinheit am Montagvormittag auch nebenan im Pressezelt auf. Zwar brüllte der Löwe nicht, aber er machte klare Ansagen. Die deutlichste kam zum Schluss, als Rüdiger darauf angesprochen wurde, dass Niklas Süle, sein Konkurrent auf der Innenverteidigerposition, sich schon mal ziemlich forsch positioniert habe, was seine Chancen auf WM-Einsätze betrifft. Jérôme Boateng, der an einer Oberschenkelverletzung leidet, trainiert noch nicht mit dem Team, und so könnte es ja sein, dass neben der Stammkraft Mats Hummels ein Plätzchen frei wird. Niklas Süle sieht Niklas Süle da ganz weit vorn. Und Rüdiger? Drückte die Brust raus und überlegte mehrere Sekunden lang, was er darauf nun antworten soll.

Und er sagte dann: „Wir werden sehen.“ Kurze Künstlerpause: „Das ist meine Antwort.“ Dann stand Rüdiger auf und ging vom Podium. Er hatte das Schlusswort gesprochen. Und das war keine Floskel. Es war eine Kampfansage.

Rüdiger (25) hat dabei gute Gründe für sein Selbstbewusstsein. Große Fortschritte hat er zuletzt gemacht, zuerst während seiner Zeit beim AS Rom, wo er von 2015 bis 2017 spielte, und auch jetzt beim FC Chelsea. Der bullige, 1,91 Meter große Modellathlet bestach ja schon zu seiner Zeit beim VfB Stuttgart (2011 bis 2015) mit seiner Aggressivität, seinen schnellen, raumgreifenden Schritten und seiner Zweikampfstärke.

Nun aber bekam Rüdigers Spiel in den vergangenen drei Jahren einen entscheidenden Aspekt dazu: Reife. „Die Zeit in Italien hat mein Spiel beruhigt“, sagt er selbst dazu: „ In Deutschland habe ich viel im physischen Bereich gearbeitet, aber weniger im taktischen. Ich habe jedoch irgendwann gemerkt, dass ich taktisch bessere Fähigkeiten brauche.“ Luciano Spalletti, sein ehemaliger Trainer beim AS Rom, wurde sein großer Mentor. „Durch ihn habe ich eine Welt kennengelernt, die mir völlig neu war“, sagt Rüdiger: „Ich bin durch ihn nicht nur defensiv stabiler geworden, sondern habe nun auch mehr Selbstvertrauen, wenn ich den Ball am Fuß habe.“

Spalletti setzte Rüdiger flexibel ein. Meist auf der Position des Innenverteidigers, aber auch hinten rechts in der Viererkette. Genau diese Flexibilität ist nun Rüdigers großer Trumpf im Kreise der Nationalelf. Er kann den normalen Innenverteidiger in der Viererkette geben, er findet sich aber auch – wie schon beim Gewinn des Confedcups 2017 – in einer Dreierkette zurecht. Obendrein kann er auch auf beiden Außenpositionen in der Viererkette ran. In seiner ersten Saison beim FC Chelsea machte Rüdiger unter dem nächsten italienischen Coach, in diesem Fall Antonio Conte, nochmals taktische Fortschritte.

Die Emotionen hat der Abwehrhüne im Griff

Fußballerisch reifte Rüdiger also in seiner Zeit im Ausland – menschlich tat er das auch. Zu Beginn seiner Karriere war er gefühlt ja oft so etwas wie eine tickende Zeitbombe. Er übertrieb es oft mit der Aggressivität, und allzu leicht ließ er sich provozieren. „Ich habe früher viel aus den Emotionen gehandelt“, sagte Rüdiger kürzlich der „Berliner Morgenpost“ und ergänzte, dass ihn das fast seine Karriere gekostet habe: „Ich wäre fast in eine Rambo-Schublade geraten. Aber ich habe bewiesen: Wenn ich es will, kann ich mich beherrschen.“

Nun also bereitet sich ein gereifter Innenverteidiger auf die WM vor, wo er nach seinem während der Vorbereitung zur EM 2016 erlittenen Kreuzbandriss umso mehr zum Zug kommen will.

Löws Löwe – er liegt auf der Lauer.