Die „Fridays for Future“-Bewegung wird sich am Freitag parallel zum Klimakabinett in Berlin treffen. Foto: epd

Heute soll ein Koalitionsgipfel Deutschlands Klimapolitik auf Vordermann bringen. Ändert das im Weltmaßstab etwas?

Berlin - Die Gegenargumente sind bekannt. Allen voran bestreiten einzelne Wissenschaftler und Politiker vornehmlich auf der rechten Seite des Spektrums weiter, dass der Klimawandel überhaupt menschengemacht ist. Sie sehen die Erderwärmung, die gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter bereits ein Grad beträgt, als natürliches Phänomen, gegen das keine Politik hilft. „Wir hatten früher Eiszeiten, wir hatten früher kalte Zeiten, längst vor der Industrialisierung“, sagte der AfD-Parteichef Alexander Gauland einmal: „Ja, es gibt einen Klimawandel. Dass der Mensch dazu viel beitragen kann, glaube ich nicht.“

Aber auch unter jenen, die den überwältigenden Forschungskonsens zum entscheidenden Einfluss des Menschen auf den Klimawandel akzeptieren, der sich auf deutlich mehr als 90 Prozent der weltweit verfügbaren Studien stützt, gibt es viel Skepsis: Was soll es schon ändern, wenn Deutschland, das laut den Zahlen des Bundesumweltamtes nur 1,9 Prozent der global ausgestoßenen Treibhausgase verursacht und damit auf Platz 6 liegt, jetzt „klimaneutral“ werden will? Bewirkt das überhaupt etwas? Lachen sich nicht andere Volkswirtschaften, die chinesische zumal, ins Fäustchen, wenn sich ein Wettbewerber auf dem Weltmarkt nun einer anstrengenden, ja auch riskanten Transformation des wichtigsten Industriezweigs unterzieht und den bisherigen Exportschlager Verbrennungsmotor hinter sich lassen will? Die Regierung in Peking setzt zwar auch auf saubere Energien, will aber nicht wie die Bundesrepublik aus der Atomkraft und der Braunkohle zugleich aussteigen.

Ohne Deutschland stehen die Chancen schlecht

Tatsächlich existiert keine Garantie dafür, dass der globale Temperaturanstieg mit den für diesen Freitag erwarteten Beschlüssen der Bundesregierung auf „deutlich unter zwei Grad“ zu begrenzen ist, wie es das Pariser Weltklimaabkommen von 2015 vorgibt. Sehr wohl lässt sich aber sagen, dass das Ziel ohne nennenswerte deutsche Anstrengungen mit viel größerer Wahrscheinlichkeit verfehlt wird – das hat weniger mit den Zahlen als dem Status als klassischer europäischer Industrienation zu tun.

Wer sich wie amerikanische Umweltforscher des World Ressources Institute die Mühe macht, den teils nur schätzbaren CO2-Ausstoß der Jahre zwischen 1850 und 2007 zu addieren, kommt im Falle Deutschlands auf 81 Milliarden Tonnen, was laut dem US-Institut knapp sieben Prozent allen Kohlendioxids entspricht, das in den vergangenen anderthalb Jahrhunderten in die Erdatmosphäre gelangte. Das entspricht Platz 4 – während die Amerikaner mit einem Anteil von 28 Prozent einsamer Spitzenreiter sind. Auf vergangenen Weltklimakonferenzen war deshalb stets klar, dass die klassischen Industrienationen wegen dieser historischen Verantwortung mehr tun müssen als Entwicklungs- und Schwellenländer.

Dass aber nur die Bundesrepublik einer Art „Klimaschutz-Hysterie“ unterläge, ist eine Mär. An diesem Mittwoch hat das UN-Klimasekretariat einen neuen Bericht vorgelegt, wonach mindestens 112 Länder planen, ihre aktuellen Klimapläne bis 2020 nachzubessern – darunter eben auch Deutschland. Richtig ist aber auch, dass 14 Staaten, vornehmlich alte Industrieländer wie die USA, die zusammen 26 Prozent der globalen Treibhausgase ausstoßen, keine zusätzlichen Anstrengungen planen – und das in einer Situation, da die Forscher nur noch ein sehr begrenztes CO2- und Zeitbudget berechnet haben, um den Temperaturanstieg auf ein bewältigbares Maß zu begrenzen.

Wie bei Maastricht schauen die EU-Nachbarn auf Berlin

In der Europäischen Union, die als Ganzes mit einem Anteil von 8,8 Prozent auf Platz 3 der größten Treibhausgasproduzenten hinter China und den Vereinigten Staaten rangiert und eine entscheidende Stimme in der internationalen Klimaschutzpolitik ist, kommt der Bundesrepublik dennoch eine Art Vorbildcharakter zu. Zwar hat sich die EU gesetzlich vorgeschriebene CO2-Reduktionsziele gegeben – aufgeschlüsselt nach Ländern und unter Androhung hoher Strafzahlungen, falls die Vorgaben verfehlt werden. Wie bei den sogenannten Maastricht-Kriterien zur Eurostabilität, die zuerst von Deutschland missachtet wurden, blicken auch in der Klimapolitik viele Nachbarn nach Berlin, ob sich die größte Volkswirtschaft auch an die selbst gesetzten Regeln hält.

Bisher ist Deutschland dieser Rolle nur zum Teil gerecht geworden. Im Vergleich zum Referenzjahr 1990, als noch 1251 Millionen Tonnen Treibhausgase in die Luft gepustet wurden, sind es im vergangenen Jahr nur noch 866 Millionen Tonnen gewesen. Allerdings wurde die größte Reduktion durch die Stilllegung alter DDR-Industrien nach der Wiedervereinigung erreicht, danach verflachte die Abwärtskurve deutlich – das Zwischenziel für 2020, das bei 750 Millionen Tonnen liegt, wird absehbar verfehlt.

Grund dafür sind fehlende Fortschritte im Bereich der energetischen Gebäudesanierung, noch mehr aber im Verkehrssektor. Hier ist der CO2-Ausstoß verglichen mit 1990 nur minimal zurückgegangen – von 165 auf 160 Millionen Tonnen im Jahr. 2030 sollen es weniger als 98 Millionen Tonnen sein, damit Deutschland 55 Prozent weniger Kohlendioxid ausstößt als 1990. Vorrangig in diesen Bereichen setzen die Maßnahmen an, die das Klimakabinett an diesem Freitag auf den Weg bringen soll.