Brigitte Weiler passte sich an – und kleidete sich wie die Einheimischen. Foto:  

Am Sonntag starb die Oberjesingerin Brigitte Weiler bei einem Terroranschlag der Taliban in einem Hotel in Kabul. Spurensuche im Leben einer Abenteurerin, die in Afghanistan ihre zweite Heimat fand.

Herrenberg - Paradies nennen die Oberjesinger das großzügige Anwesen in der Ermsstraße des Herrenberger Stadtteils, der eigentlich ein Dorf ist. Ein Paradies ist es für die Hühner und Enten, die sich in dem riesigen Garten tummeln. Hier war das Refugium von Brigitte Weiler. Als Kind rannten sie und ihre Geschwister zum Schrecken der eher pietistisch geprägten Dörfler nackt durch den Garten – wie eben Adam und Eva im Paradies. Und hier erholte Brigitte Weiler sich als Erwachsene von ihren kraftzehrenden Einsätzen in Afghanistan. Doch nun wird sie nie wieder zurückkehren in ihr Paradies. Am vergangenen Sonntag starb die 65-jährige Krankenschwester und Entwicklungshelferin bei einem Angriff von Terroristen auf das Hotel Interconti in Kabul.

Wenige Stunden zuvor mit der Schwester in Deutschland telefoniert

Nur wenige Stunden zuvor hatte Brigitte Weiler noch mit ihrer Schwester Astrid Dickreiter telefoniert, die am Bodensee lebt. „Es ging ihr gut. Wir haben so sogar über belanglose Dinge wie ihren Geburtstag im März gesprochen“, erzählt die Schwester. Nur wenige Stunden später war Brigitte Weiler tot.

Zwei Tage danach sitzt im Haus gegenüber das Ehepaar Wolf gemeinsam mit Annette Nüßle, einer anderen Nachbarin, am Küchentisch. Der Blick aus dem Fenster fällt genau auf die Eingangstür von Brigitte Weilers Haus. Auf dem Tisch liegt die Zeitung mit dem Bericht über ihren Tod. Doch die Nachbarn wissen längst Bescheid.

Polizei informiert die Nachbarn

Am Sonntagabend kurz vor Mitternacht klingelte die Polizei bei den Wolfs. Schlaftrunken öffnet Traugott Wolf die Tür. Ob er Frau Weiler kenne, wollen die Beamten wissen. „Ja, klar, die Brigitte ist meine Nachbarin. Wir haben den Schlüssel zu ihrem Haus, schauen nach der Post“, sagt Wolf. Nach Verwandtschaft von Weiler fragen die Polizisten. Dann will er wissen, was eigentlich los ist. „Frau Weiler ist beim Anschlag in Kabul gestorben.“

Traugott und Helga Wolf sitzen in dieser Nacht noch lange zusammen. Fassungslos über diese Nachricht. Irgendwann geht Helga Wolf ins Bett. Ihr Mann schläft nicht mehr. „Immer, wenn wir Brigitte angesprochen haben, ob das nicht gefährlich sei, was sie tut, hat sie nur gelacht“, sagt er und blinzelt, um die Tränen zu vertreiben.

Seit 30 Jahren in Afghanistan zuhause

Dabei war sich die 65-Jährige der Gefahr, der sie sich aussetzte, durchaus bewusst. Anfang Januar noch telefonierte sie mit der Journalistin Petra Mostbacher-Dix. Ihr sagte sie: „Dieses Mal muss ich besonders gut planen. Die Lage ist sehr unübersichtlich.“ Doch niemals hätte sie auf die Reise nach Afghanistan verzichtet. Das Land war ihre zweite Heimat, seit sie 1987 zu ersten Mal mit ihrem damaligen Freund, einem Arzt, das Land bereist hatte – damals noch illegal. Jedes Jahr verbrachte sie mehrere Wochen in Kabul und in den Bergregionen. Sie verteilte Winterkleidung und Schulsachen an Kinder aus bettelarmen Familien, besorgte Medikamente für Krankenhäuser, beschenkte Witwen mit Nähmaschinen und Stoff, damit sie sich und ihre Familien ernähren konnten. „Man kann diese Menschen nicht alleine lassen. Ich habe meine Aufgabe bei ihnen gefunden“, sagte sie.

Über die Beweggründe für ihr Engagement und ihre Faszination für Afghanistan machte sie keine großen Worte. Fast scheint es, als ob die kantige Frau, die in Deutschland mit ihrer direkten, teils schroffen Art immer wieder aneckte, in Afghanistan besser zurecht kam als hier. Tadelte sie gerne ihre deutschen Bekannten, wenn diese sich um einige Minuten verspäteten, bewies sie in Afghanistan unendliche Geduld, wenn sie manches Mal tagelang auf irgendwelche Kontaktpersonen wartete.

Mit unsicherem Gefühl ins gut bewachte Hotel

In der Nachbarschaft ihres Paradieses fiel sie auf. „Brigitte fuhr das älteste Fahrrad, sie hatte einen Rasenmäher, der war reif fürs Museum“, erzählt Nüßle. Auf Äußerlichkeiten habe sie keinen Wert gelegt, sehr sparsam, fast karg gelebt. Wenn sie verreiste, drängte sie den Nachbarn die letzten Tropfen Milch auf, weil sie diese nicht wegschütten wollte. Deshalb war es ungewöhnlich, dass sie im teuren Hotel Interconti war. Normalerweise übernachtete sie gemeinsam mit Leibwächtern in bescheidenen Herbergen. „Sie hatte einen Termin in einer Schule für Taubstumme in Kabul und keine günstige Unterkunft gefunden“, berichtet ihre Schwester. „Und sie ist mit einem sehr unguten Gefühl in dieses so gut bewachte Hotel gegangen.“ Dieses Gefühl trog sie nicht. Die Terroristen erschossen ganz gezielt nur Ausländer.

Abenteuerlich war das gesamte Leben von Brigitte Weiler, die sich Normen nie anpassen wollte. Sehr geprägt hat sie ein Unfall, den sie als 18-Jährige im Urlaub mit ihren Eltern und einer Schwester hatte. Diese starben, Brigitte Weiler, die am Steuer gesessen hatte, überlebte als einzige. Sie habe deswegen immer Schuldgefühle gehabt, vermutet der Nachbar. Vielleicht ein Beweggrund für ihr Engagement.

Als Offizierin auf den Meeren unterwegs

Eine feste Anstellung über längere Zeit hatte sie nie, sie wollte ihre Freiheit. Immer wieder zog es die Oberjesingerin in die Welt hinaus. Jahrelang war sie als Krankenschwester auf Fischereischutzschiffen im Nordmeer unterwegs, behandelte kranke Fischer auf ihren Booten. Irgendwann machte sie selbst das Schiffsoffizierspatent und schipperte als Erste Offizierin über die Meere. „Dort konnte sie nur bestehen, wenn sie sich an den rauhen Ton in der Männerwelt anpasste“, sagt die Journalistin Mostbacher-Dix, die sie gut kannte. Von außen schroff, mit einem großen Herzen – so habe sie Brigitte Weiler wahrgenommen.

Die Nachbarn sind geschockt über Weilers Tod. Und sie wollen ihn nicht einfach still hinnehmen. Am Küchentisch der Wolfs überlegen sie, was sie unternehmen können. Einen Gedenkgottesdienst planen sie, auf jeden Fall aber Blumen und Kerzen vor ihrem Haus. „Sie war eine sehr ungewöhnliche Frau“, sagt Annette Nüßle. „Sie hat Enormes geleistet, Dinge getan, die wir uns nicht vorstellen können.“

Spenden werden verteilt

Suche
Ein Kommandant der Armee in Afghanistan, der Brigitte Weiler kannte, hatte sie nach dem Anschlag im Hotel Interconti gesucht und am Sonntagnachmittag tot in einem Krankenhaus gefunden.

Beerdigung
Brigitte Weilers Schwester will den Leichnam nach Deutschland überführen und in Oberjesingen bestatten. Dabei wird die Familie vom Auswärtigen Amt und der Deutschen Botschaft in Kabul unterstützt.

Spenden
Das Geld, das Brigitte Weiler gesammelt hat, soll den Bedürftigen in Afghanistan zu Gute kommen, sagt ihre Schwester Astrid Dickreiter. Die Organisation Shelter now, mit der Weiler zusammengearbeitet hat, werde es im Sinne Weilers an die Familien in den Dörfern und die vorgesehenen Projekte verteilen.