Tausende haben beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in der Dortmunder Innenstadt den Abendsegen empfangen. Foto: epd

Auf dem Protestantentreffen spricht der Bundespräsident den Christen aus dem Herzen – nicht nur bei einer Diskussion über Risiken und Chancen der Digitalisierung. Dort fordern alle eine stärkere Regulierung.

Dortmund - Es scheint, als schwanke Frank-Walter Steinmeier, welche Rolle er beim Protestantentreffen eigentlich einnehmen soll: die das Staatsoberhauptes oder die des Kirchentagspräsidenten, der für den Erfolg der Großveranstaltung eine Mitverantwortung trägt? Als der 63-Jährige die Christen begrüßt, die sich zum Eröffnungsgottesdienst auf dem Ostendplatz versammelt haben, macht er mächtig Stimmung. Hunderttausende seien in die Ruhrmetropole gekommen, schwärmt der SPD-Mann und übertreibt damit maßlos. Die Stadt sei genau der richtige Ort für einen Kirchentag, lobt er und reiht sich dann in die Gemeinschaft der Pilger ein: „Wir wollen die Welt zum Besseren verändern. Das ist der Auftrag des Kirchentags“, ruft der Bundespräsident und erhält dafür dankbaren Applaus.

Tatsächlich war Steinmeier ja bereits als Präsident des Kirchentages bestimmt. Doch sein größter politischer Erfolg, die Wahl zum Bundespräsidenten, kam 2017 dazwischen. „Ich musste mich für ein Präsidentenamt entscheiden“, erklärt Steinmeier heute scherzend dazu. Der Kirchentag, in dessen Präsidium er seit 2011 vertreten war, fand in Hans Leyendecker einen Ersatz. So merkt man dem Bundespräsidenten an, dass er in Dortmund nicht eine seiner repräsentativen Pflichten erfüllt, sondern, dass er sich wohlfühlt und dass er einem Herzensanliegen folgt. Das gilt auch für das Thema seiner fast 40-minütigen Rede am Donnerstag in der Westfalenhalle. Es geht um Vertrauen – dem Leitwort des Kirchentags – in die Zukunft angesichts der Herausforderungen durch die Digitalisierung. Steinmeier lässt keinen Zweifel, dass er auch aufgrund seines Glaubens keinen Grund zur Resignation sieht: „Ich komme in eine solche Halle, sehe euch alle und weiß sofort, warum ich mit so viel Zuversicht in die Zukunft blicke“, sagt der Bundespräsident den etwa 10 000 Zuhörern.

Steinmeier: Empörungs- und Hasswellen im Netz bedrohen die Demokratie

Er mahnt aber, nicht die Hände in den Schoß zu legen, um den Gefahren durch das Internet und die Künstliche Intelligenz zu wehren. Die Marktmacht der „Datenriesen“ aus dem Silicon Valley sei zu groß. Die Empörungs- und Hasswellen im Netz bedrohten ebenso die Demokratie wie die Manipulation der Menschen durch anonyme Algorithmen. Dagegen brauche es eine „Ethik des Digitalen“, verlangt Steinmeier und macht dazu Vorschläge: mehr Polizeibefugnisse bei der Verfolgung von Hetze im Netz, mehr Kontrolle der Algorithmen und ein besserer Schutz der Privatsphäre. Das alles sollten internationale Vereinbarungen garantieren. Die meisten seiner Vorschläge bleiben zwar im Grundsätzlichen, das tut der Begeisterung des Publikums aber keinen Abbruch. Die Anregungen werden sämtlich mit Beifall quittiert. Alle sind sich hier offenbar einig, dass es mehr Regulierung braucht.

Auf dem Podium sitzen – wie so oft auf diesem Kirchentag – nur Gleichgesinnte

Auch auf dem Podium sitzen hernach mit der einstigen Bildungsministerin Annette Schavan und dem Wissenschaftsjournalisten Ranga Yogeshwar – wie so oft auf diesem Kirchentag – nur Gleichgesinnte. Ein junger Computerfan, der womöglich über die Bedenkenträger nur den Kopf schüttelt, fehlt. Während Schavan meist philosophisch argumentiert, plädiert Yogeshwar stärker dafür, die riesigen Chancen nicht kleinzureden. Erstmals gebe es dank des Internets eine symmetrische Kommunikation. Ein Kind in Delhi könne über dieselben Informationen verfügen wie ein Kind in Dortmund. Die Menschen seien sich weltweit nähergekommen. Und in wenigen Jahren würden die Europäer, die verschiedene Sprachen sprechen, sich dank ihres Smartphones fließend unterhalten können. „Damit versprechen Sie uns einen Zustand andauernden Pfingstens“, sagt Schavan und spielt damit auf das in der Bibel geschilderte Wunder an, dass die Jünger plötzlich unterschiedliche Sprachen beherrschen. Doch auch Schavan und Steinmeier wenden sich gegen Technikskepsis.

Zumal es ja nicht aussichtslos scheint, Grenzen zu setzen. San Francisco, so Yogeshwar, habe die Gesichtserkennung im öffentlichen Raum schon verboten. Darüber hinaus brauche es ein Kartellrecht der Daten. Ferner wird in Dortmund verlangt, dass nicht mehr wirtschaftliche Interessen dafür ausschlaggebend sein dürfen, welche Erregungswellen durchs Netz schwappen. Schließlich nehmen Schavan und Steinmeier aber das Publikum in die Pflicht. Schavan meint, die Bürger sollten nicht jeder Stimmung folgen und sich zu rasch ein Urteil bilden. Steinmeier mahnt, die Diskussion über das Digitale im Alltag weiterzuführen: „Ich bitte euch, tragt die Debatte in die Gemeinden, Betriebe und die Vereine.“