Anna-Lena Schnabel hat 2017 für ihre Musik einen Preis gewonnen. Das Fernsehen bat sie aber, bei der Gala lieber etwas anderes, leichteres zu spielen. Foto: dpa

Die gerade auch in Stuttgart blühende deutsche Jazzszene ist frustriert. Sie sieht sich vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen im Stich gelassen. Mehr und bessere Sendungen, so ihre Hoffnung, würden neues Publikum locken.

Stuttgart - Wer sich geduldig durch das große Angebot des Streaming-Dienstes Netflix wühlt, wird noch ganz anderes finden als pfiffig gemachte Serienerfolge, echte Minderheitenangebote nämlich: zum Beispiel reihenweise Dokumentationen über Jazzmusiker und Jazzgeschichte. Auch wenn der private amerikanische Anbieter Netflix global operiert, beim Jazzfilm liegt sein Augenmerk auf der amerikanischen Szene. Manch europäischer Jazzmusiker mag sich da grämen, aber gerade die Deutschen müssten glücklich und zufrieden sein. Gibt es hierzulande nicht ein komfortabel finanziertes öffentlich-rechtliches Fernsehen mit umfassendem Kultur- und Bildungsauftrag, das gewiss auch die Darstellung des heimischen Jazz umfasst?

Wer mit dieser Frage in die gerade auch in Stuttgart starke Jazzszene hineinhorcht, stößt auf Frustration und Resignation. Der Stuttgarter Gitarrist und Komponist Christoph Neuhaus etwa klagt, die Vielfalt dieser Musik werde öffentlich nicht abgebildet. „Der Jazz entfaltet sich immer mehr, auch in Deutschland“, sagt er. „Es gibt hervorragende, meist international ausgebildete Künstler, eine große Szene, die eine spannende, oft genreübergreifende Musik am Puls der Zeit schafft. Aber diese ganze Bewegung ist in den öffentlich-rechtlichen Medien kaum auffindbar, im Fernsehen noch weniger als im Radio.“ Der Jazz, mahnt Neuhaus, floriere zwar momentan - aber nur ein größeres Publikum könne seine Zukunft sichern.

Aus Unbehagen wird ein Eklat

Das ganze Unbehagen, das die öffentlich-rechtlichen Sender in Sachen Jazz empfinden, formte sich im vergangenen Jahr zu einem regelrechten Eklat. Die junge Saxofonistin Anna-Lena Schnabel hatte im Sommer den Nachwuchspreis beim Echo Jazz gewonnen, Ende Oktober strahlte der Fernsehsender 3-Sat eine Dokumentation über die Künstlerin aus. In der beklagte sie, der NDR habe ihr bei der Ausstrahlung der Echo-Gala die Vorgabe gemacht, sie solle keine ihrer eigenen Kompositionen vortragen, sondern lieber etwas Fremdes. Die Musik der Preisträgerin galt als zu sperrig.

Obendrein monierte Schnabel die ganze Behandlung durch den Sender: Ihr Preis sei nicht dotiert, dafür trotzdem seien sogar die Übernachtungskosten auf sie und ihr Label abgewälzt worden. Eine Stellungnahme des NDR ließ nicht auf sich warten. „Betroffen und entsetzt“ zeigte sich der Sender über die Sichtweise der Preisträgerin, sprach von einem Missverständnis, wies darauf hin, dass die Musikauswahl mit dem Einverständnis der Musikerin erfolgt war. Der Bundesverband Musikindustrie als Veranstalter des Echo Jazz erklärte, die Reisekosten der prämierten Künstler selbstverständlich zu übernehmen. Dann: Schweigen. Auch auf der Seite der Anna-Lena Schnabel.

Ist das vielleicht schon Zensur?

In der Szene jedoch hallen die 3-Sat-Doku und die vehementen Reaktionen von Jazzmusikern im Netz noch immer nach. Auch Stuttgarter Jazzmusiker können über Erfahrungen berichten, die mit denen von Anna-Lena Schnabel korrespondieren, der sehr viel berühmtere Wolfgang Dauner etwa. Er erhielt den Echo Jazz im Jahr 2016 für sein Lebenswerk. „Vom Regisseur der Sendung ‚Druckfrisch’“, erzählt er, „wurde mir einmal ein Flügel verweigert. Das hat mich daran gehindert, bei meinem guten Bekannten Denis Scheck aufzutreten. Die Ignoranz des Fernsehens kennt keine Grenzen!“ Letzten Endes, weiß Dauner, entscheiden die Einschaltquoten: „Und das ist doch schon Zensur in höchster Potenz!“

Die Sängerin Anne Czichowsky, 2011 ausgezeichnet mit dem Jazzpreis des Landes Baden-Württemberg, sieht die Situation abgeklärt. „Anna-Lena Schnabel“, sagt sie, „ist in aller Munde. Chapeau für die gelungene Promotion!“ Unkritisch ist Czichowsky deshalb nicht. „Der Echo“, stellt sie fest, „ist ein Preis der Musikindustrie, der mit Verkaufszahlen zu tun hat und erst sekundär mit künstlerischer Leistung. Das rechtfertigt natürlich nicht, wie der NDR mit den Preisträgern umgeht, aber auch damit war zu rechnen, bei einem Fernsehformat.“

Martin Meixner, Keyboarder aus Stuttgart, blickt wie seine Kollegen kritisch und realistisch auf den Fall Schnabel. Dass Jazzsendungen im Fernsehen meist erst nach Mitternacht zu sehen sind, zeigt für Meixner deren geringen Stellenwert. „Alleine deshalb“, sagt er, „hat diese Musik nur wenige Chancen, bekannt zu werden.“ Unverdientermaßen, wie er findet: „Ich habe das Gefühl, dass es ein Publikum gibt, das sich eine breitere Palette an Musik wünscht. Und ich sehe es als eine große Aufgabe der Öffentlich-Rechtlichen an, auch diversen Stilen abseits des Mainstreams eine Plattform zu geben.“ Ansonsten müsste die deutsche Szene wohl darauf warten, dass auch sie von Netflix entdeckt wird.