Syrische Flüchtlingskinder haben in Antakya Bilder über den Krieg in ihrer Heimat gemalt. Sie werden nun in Aalen gezeigt. Foto: Stadt Aalen

Der geplante Besuch der türkischen Freunde im September ist geplatzt. Die Aalener sind trotzdem nach Antakya gereist, um dort den Sportplatz für syrische Flüchtlingskinder einzuweihen. Die Stadt hält an der Partnerschaft fest – jetzt erst recht.

Aalen - Die Aufregung ist groß gewesen. Dass der Oberbürgermeister von Antakya, ein Mitglied der sozialdemokratischen CHP, in diesem Jahr nicht zu den Reichsstädter Tagen nach Aalen kommen dürfte, hatte man gewusst. Der Gemeinderat hatte seinem Stadtoberhaupt die Reise untersagt. Dafür sollten andere die schwäbische Partnerstadt und ihr wichtigstes Fest besuchen. Kurz davor aber sagte auch diese Delegation die Reise ab. Bei der Eröffnung der Reichsstädter Tage wurde eine türkische Flagge auf einem Stuhl im Kreise der Besucher aus den vier anderen Partnerstädten platziert. Die Betroffenheit über die Absage des Besuchs war groß.

Mittlerweile habe sich herausgestellt, dass organisatorische Probleme die Reise verhindert hätten, sagt Thilo Rentschler, der Aalener Oberbürgermeister (SPD): „Die Delegationsmitglieder haben ihre Visumanträge zu spät gestellt.“ Doch die Aufregung über die Episode zeigt eines ganz deutlich: Auch auf kommunaler Ebene ging es schon entspannter zu im deutsch-türkischen Verhältnis.

Böblingen war die erste Stadt im Land mit türkischem Partner

18 deutsch-türkische Städtepartnerschaften in Baden-Württemberg sind beim Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) gemeldet, 67 sind es bundesweit. Offiziell aufgelöst wegen des angespannten deutsch-türkischen Verhältnisses wurde noch keine. Die Stadt Bursa aber hat im März ihre Bündnisse mit dem hessischen Darmstadt und dem bayerischen Kulmbach auf Eis gelegt – aus Ärger über den Streit über Wahlkampfauftritte türkischer Spitzenpolitiker in Deutschland. Der RGRE hat im April die Amtsenthebungen und Verhaftungen von türkischen Spitzenpolitikern scharf kritisiert. Gerade jetzt, so der Verband weiter, seien Städtepartnerschaften eine gute Basis für den Dialog.

Die älteste im Land pflegt Böblingen, schon seit 50 Jahren ist die Stadt mit dem türkischen Bergama verbunden. Zur diesjährigen Partnerschaftsolympiade kamen die Türken wie geplant. Die aktuelle politische Lage „lässt uns nicht unberührt“, sagt der Sprecher der Stadt, Wolfgang Pfeifer. Deshalb habe der OB Wolfgang Lützner auch auf den Wertekonsens der europäischen Gesellschaft hingewiesen. Aber grundsätzlich „sind wir nicht der Hebel, um Menschenrechtsprobleme zu lösen“. Als Stadt wolle man „ein Vorbild sein, was nicht heißt, dass wir blauäugig sind“.

Einfach war die Beziehung nie

Auf das Miteinander setzt auch Aalen. Einfach war die Beziehung noch nie. Ulrich Pfeifle kann ein Lied davon singen. Der langjährige Oberbürgermeister (SPD) war schon 1988 zum ersten Mal nach Antakya gereist. Die Fahrt erforderte diplomatisches Gespür. Sein Gemeinderat hatte ihm per Beschluss verordnet, er müsse sich zur Kurdenfrage eindeutig positionieren. Außerdem war gerade Bürgermeisterwahlkampf in Antakya – und der AKP-Kandidat hatte die türkischen Medien gleich reihenweise für den nächsten Morgen zu einer Pressekonferenz geladen. Das Fernsehen war da und mindestens 30 Journalisten. Der erste wollte wissen, wie Pfeifle dazu komme, für einen AKP-Mann Wahlkampf zu machen. Der nächste erkundigte sich, wie der Aalener OB zur Todesstrafe stehe. Pfeifle – „ich wollte früher sowieso in den diplomatischen Dienst“ – überstand die PK und stellte den Aalener Türken, der den Kontakt nach Antakya hergestellt hatte, hernach erst einmal in den Senkel.

Es dauerte noch sieben Jahre, bis der Kontakt offiziell besiegelt wurde. Seither läuft die Partnerschaft, trotz der 3333 Kilometer Entfernung. „Diese Partnerschaft“, davon ist Pfeifle überzeugt, „trägt zum Frieden in unserer Stadt bei.“ Denn viele Türken in Aalen haben ihre Wurzeln in Antakya. In der Region nahe der syrischen Grenze warben die ostwürttembergischen Arbeitgeber, beispielsweise die Schwäbischen Hüttenwerke, in den 60er Jahren gezielt um Gastarbeiter.

In der Not hilft man sich

Pfeifle schwärmt von der Schönheit der Stadt, von der Gastfreundschaft und Offenheit der Menschen und von der Wertschätzung, die sie ihren deutschen Gästen entgegen bringen. Als ein türkischer Arbeiter in Antakya bei einem Stromunfall beide Arme verlor, haben ihn die Aalener einfliegen und in Heidelberg operieren lassen, finanziert aus Spenden. Als ein Jahr später ein schlimmes Hochwasser die Region verwüstete, sammelte man wieder in Ostwürttemberg – und schickte eine siebenstellige Summe in die Türkei.

Nun hat man wieder gesammelt. Im vergangenen Jahr wurde eine Schule für 1200 syrische Flüchtlingskinder in Antakya eingeweiht. Jetzt haben die Schüler noch einen Sportplatz dazubekommen. Denn allein in Antakya mit gut 200 000 Einwohnern leben mittlerweile 100 000 Syrer, die vor dem Krieg im Nachbarland geflohen sind. 3,5 Millionen Flüchtlinge hat die Türkei insgesamt aufgenommen, „eine grandiose Leistung“, sagt Pfeifle.

Die Reise war nicht unumstritten

Zur Einweihung des neuen Sportplatzes sind der OB Rentschler und sein Vorvorgänger mit einer Delegation nach Aalen gefahren. Unumstritten war die Reise nicht. „Ihr unterstützt Erdogan“, kritisierten die einen. Das sei zu gefährlich, sorgten sich die anderen. „Du bist der Erste, der eingesperrt wird“, hat man etwa zu Roland Hamm gesagt. Der Stadtrat der Linken ist im Städtepartnerschaftsverein Aalens zuständig für die Freundschaft mit Antakya. Die Stadt hatte sich im Vorfeld ans Auswärtige Amt gewandt – und ein hohes diplomatisches Lob eingeheimst. Die direkten zwischenmenschlichen Kontakte seien eine wichtige Ergänzung, so die Behörde.

„Wir haben sehr offene Gespräche geführt“, sagt Thilo Rentschler. In der nächsten Woche kann man sie fortsetzen. Am Dienstag wird im Rathaus eine Ausstellung syrischer Flüchtlingskinder mit Zeichnungen eröffnet: Sie haben ihre Kriegserlebnisse zu Papier gebracht. Zur Vernissage hat sich eine Delegation aus Antakya in Aalen angekündigt. Jetzt erst recht.