Mit den Vorwürfen gegen Dieter Wedel hat die #MeToo-Debatte auch Deutschland erfasst. Heute feiert der einstige Erfolgsregisseur seinen 80. Geburtstag.

Wenn von Dr. Dieter Wedel die Rede ist, kommt meist mit seltsamer Zwangsläufigkeit das Attribut "groß" ins Spiel. Groß wie "Der große Bellheim", jenem vierteiligen Gassenfeger im ZDF, der 1993 den Regisseur schlagartig zur Berühmtheit machte. Seitdem sprach man stets vom "großen Wedel".

Das war zumindest bis zum Januar 2018 so. Doch dann hatte die #MeToo-Debatte auch den "großen Wedel" erfasst. Mehrere Schauspielerinnen warfen ihm sexuelle Übergriffe vor; er streitet alles ab. Am 12. November wird der Regisseur und Drehbuchautor 80 Jahre alt, eine Ausnahmeerscheinung in jeglicher Hinsicht kommt in die Jahre.

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Rätsel um das Geburtsjahr

Er war schon immer ein ambivalenter Typ, das beginnt bereits mit seinem Alter. Dieter Karl Cäsar Wedel, wie ihn seine Eltern - ein Frankfurter Lederfabrikant und eine Konzertpianistin - getauft haben, gab als Geburtsjahr stets 1942 an. Demnach wäre er 1946 als Vierjähriger in Bad Nauheim (Hessen) eingeschult worden. 2010 sagte Wedel, dass er sich 1968 drei Jahre älter gemacht habe, um seinen ersten Regieauftrag "Gedenktag" zu bekommen. Die Produzenten hätten niemals einem 26-Jährigen das Projekt über den Ostberliner Aufstand vom 17. Juni 1953 anvertraut.

Na ja. Bereits 1965 hatte Wedel in einem von ihm verfassten Lebenslauf im Anhang zu seiner Doktorarbeit an der Philosophischen Fakultät der Freien Universität Berlin (Thema: "Das Frankfurter Schauspielhaus in den Jahren 1912 bis 1929") angegeben, dass er am 12. November 1939 in Frankfurt am Main geboren wurde. Dabei soll es auch bleiben.

Beeindruckendes Lebenswerk

Wegen seiner Promotion zum Dr. phil. wurde der einstige Musterschüler Dieter Wedel am Set respektvoll "der Doktor" genannt. Sein Lebenswerk ist und bleibt beeindruckend: Wedels TV-Mehrteiler erregten großes Aufsehen: "Einmal im Leben - Geschichte eines Eigenheims" (1972), "Alle Jahre wieder - Die Familie Semmeling" (1976), verschiedene "Schwarz-Rot-Gold"-Filme, "Der große Bellheim" (1993), "Der Schattenmann" (1996), "Der König von St. Pauli" (1998), "Die Affäre Semmeling" (2002), "Papa und Mama" (2006), "Gier" (2010): Außerdem arbeitete er als Theaterregisseur in Hamburg sowie bei den Bad Hersfelder Festspielen und initiierte die "Nibelungenfestspiele" in Worms.

Bei allen Lobeshymnen auf den Autor und TV-Regisseur wurden auch immer wieder Vorwürfe laut, Wedel habe sich bei US-Kollegen wie Francis Ford Coppola, Oliver Stone und Woody Allen bedient. Die "Süddeutsche Zeitung" fand Teile aus "Jenseits von Afrika" in Wedels Scheidungsdrama "Papa und Mama" wieder. Wedel fand das alles "übertrieben", was Harald Schmidt zur Persiflage "Hollywood klaut bei Wedel" animierte.

Ruf als Tyrann

So penibel "der Doktor" an seiner Karriere als brillanter Fernsehschaffender gearbeitet hat, so konsequent wurde er auch seinem Ruf als Tyrann am Set gerecht. Immer wieder beklagten Schauspieler und andere Mitarbeiter Wedels Launen und seinen schroffen Ton. Dabei nahm er auch auf große Namen keine Rücksicht. Der renommierte Wiener Schauspieler Paulus Manker sagte einmal, Wedel herrsche "wie ein nordkoreanischer Diktator."

Auch mit Mario Adorf lag Wedel im Clinch: Der große Star hatte ihm beim "großen Bellheim" und "Schattenmann" hohe Zuschauerquoten garantiert und mit ihm auch die "Nibelungenfestspiele" in Worms gegründet. Dabei kam es zum Zerwürfnis. Adorf soll sich über Wedels Bühnentechnik aufgeregt haben. Die "Süddeutsche Zeitung" beschreibt den legendären Streitdialog wie folgt. Adorf: "Hatten die Leute heute Abend nicht ein Anrecht auf korrektes Licht?" Und weiter, jetzt schon brüllend: "Scheiß doch auf das Fernsehen!" Wedel: "Weißt du was, Mario, leck mich am Arsch!" Daraufhin Adorf: "Weißt du, was du bist? Ein kleiner Fernseharsch! Nichts als ein kleiner Fernseharsch!"

Dieter Wedel und die Frauen

Ebenso markant ist Wedels Verhältnis zum weiblichen Geschlecht. Er hat sechs Kinder von sechs verschiedenen Frauen. Meist waren es junge Frauen vom Set, Schauspielerinnen, Assistentinnen, die Wedels berühmten gletscherblauen Augen nicht widerstehen konnten. Manchmal habe er "zwei, drei und manchmal auch vier Freundinnen gleichzeitig gehabt", schreibt er in seiner Autobiografie. "Ließ mich eine fallen, waren immer noch genug da, um mich aufzufangen."

Der Doktor liebte Frauen wie Hannelore Elsner, Theaterstar Sylvia Manias, Ingrid Steeger und Julia Stemberger. Jahrelang lebte Wedel gleichzeitig mit zwei Frauen: in Hamburg mit "Hauptfrau" Uschi Wolters (68), einer Lehrerin und Produzentin, auf Mallorca mit der Schauspielerin und Tänzerin Dominique Voland (42), mit der er auch einen Sohn hat.

Schwere Vorwürfe

Dieser Ruf als manischer Frauenheld wurde ihm auch zum Verhängnis. Mehrere Schauspielerinnen bezichtigten Wedel im Januar 2018 in der Titelgeschichte "Im Zwielicht" des "Zeit-Magazins" der sexuellen Belästigung und sogar der Vergewaltigung. Sofort war der Regisseur im Mittelpunkt einer öffentlichen Diskussion. Til Schweiger sagte in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz: "Es wussten nicht alle in der Branche, dass er vergewaltigt haben soll. Man wusste aber, dass er ein Menschenquäler ist."

Der Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler Simon Verhoeven (47), ein Sohn der Schauspielerin Senta Berger, fand auf Facebook drastische Worte: "Fakt ist: Jeder, der in der Filmbranche eine Zeitlang gearbeitet hat, wusste von den ätzenden Geschichten über Wedel. Dass er am Set Schauspieler tyrannisiere, dass er ein eitler, egomanischer Schreihals sei, ein Arschloch."

Verhoeven schrieb von seiner Scham über "die Mechanismen meiner Branche, die es diesem Sadisten und brutalen Gewalttäter erlaubt haben, jahrzehntelang Frauen zu vergewaltigen und Menschen zu quälen - geschützt durch das Schweigen der Sender, Produktionen und Filmschaffenden, die mit Wedel arbeiteten. Es wurde verharmlost, verdrängt, verschwiegen."

Er, Verhoeven, hätte sich "über jeden Aufnahmeleiter, Kameramann, Schauspieler etc. gefreut, der diesem Scheiß-Typen einfach mal eine geknallt hätte. Schade, dass damals dazu anscheinend keiner bereit war."

Später sagte Simon Verhoeven in einem Interview mit "spiegel.de", er sei "aufgewühlt" gewesen, als er "diesen sehr emotionalen, sehr spontanen Post" verfasst habe. "Ich glaube den Aussagen dieser Frauen und den Zeugenaussagen. Sie sind stimmig und belegbar. Und sie decken sich mit einem Bild, das viele in der Branche über Jahrzehnte von Wedel hatten."

Verhoeven berichtete aber auch, dass Wedel "zu anderen Frauen, anderen Schauspielern und anderen Menschen sehr charismatisch und sehr charmant sein" konnte. Auch seine Mutter Senta Berger habe Dieter Wedel als "sehr geistreichen, charmanten Gesprächspartner" beschrieben.

Er streitet alles ab

Dieter Wedel stritt alle Vorwürfe, die überwiegend juristisch verjährt sind, kategorisch ab. In einem Statement erklärte er, "dass die offenbar von mehreren Schauspielerinnen gegen ihn erhobenen Vorwürfe unzutreffend und nicht gerechtfertigt sind". Er bedauerte darin aber auch, dass er Schauspielerinnen und Schauspieler "insbesondere am Set manchmal überharter, wohl auch verletzender Kritik ausgesetzt" habe.

Und er bekam Unterstützung vor seiner Ex-Geliebten Ingrid Steeger (72), die von 1988 bis 1992 mit ihm liiert war. Sie sprach von "Rufmord" und sagte in einem Interview mit "RTL Exklusiv": "Ich verbitte mir das, dass man sagt, dass der Wedel ein Vergewaltiger war oder ist." Auch sie habe als Schauspielerin in Hotelzimmern Vorsprechen bei ihm gehabt, "er hat trotzdem nichts mit mir gemacht... Der hat's gar nicht nötig gehabt. Der hätte die Schauspielerinnen nur so aufpflücken können." Sie habe sich "in seine Intelligenz und Bildung verliebt." Das sei der wahre Dr. Wedel.

Andere wiederum glauben, der wahre Wedel liebe Hunde mehr als Menschen. Das sei schon immer so gewesen seit Drolly, dem Foxterrier seines Vaters. Danach blieb Wedel immer dem gleichen Typus treu: dem Pudel. Auf Andy folgten Buffy, Billy und Willy, die er umzärtelte. Böse Zungen behaupten sogar, dass er seine Lockenfrisur von den Pudeln übernommen habe. Doch das muss man nicht glauben.