Jeremy Irons und Dominique Swain in einer Szene des Spielfilms „Lolita“ (1997) Foto: Getty

„Sweet Sixteen“ und „Teenage Dreams“: Nicht erst seit den Missbrauchsvorwürfen gegen R. Kelly lohnt sich ein Blick auf Songs und Liebeslieder, in denen reife Männer von minderjährigen Mädchen träumen.

Stuttgart - „Age ain’t nothing but a Number“ singt die US-amerikanische R&B-Sängerin Aaliyah auf ihrem Debütalbum von 1994. Alter ist nichts weiter eine Zahl? Wirklich? Aaliyah war jedenfalls erst 15 Jahre alt, als die Platte erschien. Und der Produzent von „Age ain’t nothing but a Number“ war der damals 27-jährige R. Kelly. Der Titel des Songs, der gleichzeitig der Titel des Albums war, liest sich in Verbindung mit den aktuellen Missbrauchsvorwürfen gegen R. Kelly, die schon seit Jahrzehnten durch die Medien geistern, wie eine düstere Prophezeiung.

„You’re much too young girl“

Ist Alter wirklich nichts weiter als eine Zahl? Tatsächlich lässt sich in der Popmusikhistorie ein ziemlich unbeschwerter Umgang mit diesem Thema feststellen. Es hat Tradition, dass mehr oder weniger alte Männer in ihren Liedern von Minderjährigen träumen, diese als unschuldige Sehnsuchtsobjekte darstellen oder gar als Femmes fatales und Lolitas. Besonders in den 1960er und 1970er Jahren finden sich viele Beispiele.

Von Chuck Berry bis Neil Diamond, von Rod Stewart bis Ringo Starr: Meist sind es eingängige und bekannte Hits älterer männlicher Superstars. Hört man genau hin, entdeckt man in der gesamten Pop- und Rockgeschichte Songs mit fragwürdigen Textzeilen. Zum Beispiel „My Sharona“ (1979) von The Knack: „I always get it up, for the Touch of the younger kind – M-m-m-my Sharona“. Oder „Young Girl“ von Gary Puckett & The Union Gap (1968), in dem einem minderjährigen Mädchen die Mitschuld an dem fast vollzogenen Missbrauch gegeben wird. „Better run, Girl, you’re much too young, Girl“.

Ums Leben rennen

Hits wie Neil Diamonds „Girl, you’ll be a Woman soon“ (1967) oder der Bossanova „The Girl from Ipanema“ (1962) sind Klassiker über männliche Fantasien, die sich um minderjährige Mädchen drehen. Auch die Beatles konnten nicht widerstehen und gaben dem Kind 1965 gleich einen lebensrettenden Ratschlag mit auf den Weg: „You better run for your Life if you can, little Girl“.

Später besingt George Michael in „Father Figure“ (1987) ein kleines Mädchen mit folgenden Worten: „I will be your Father Figure, oh Baby, put your tiny Hand in mine“. Und in Zeiten von Metoo wirken Songs wie Billy Idols „Sweet Sixteen“ (1986), Foreigners „Seventeen“ (1979) oder „My little Girl“ (1979) von Roxy Music wie ein böser Scherz.

Die Liste der Lieder, die den Lolita-Komplex des Pop vorführen, ließe sich unendlich lang fortführen. Eine kleine Auswahl finden Sie hier in unser Spotify-Playlist.

Kult um die Jugendlichkeit

Doch woher kommt die Faszination für junge Mädchen, die als sexualisierte Objekte wahrgenommen werden? Der amerikanische Essayist Mark Greif versteht diese Haltung als Verklärung der Jugend: „Während der junge Mensch noch nie alt gewesen ist, war der alte Mensch schon einmal jung.“ Das College-Girl, die Cheerleaderin, das Mädchen von nebenan oder die Babysitterin werden als unreif und höchst sexuell inszeniert – und mit reichlich Neid betrachtet.

Die Unterhaltungsgesellschaft lockt mit sogenannten Sexkindern, die häufig zwischen 18 und 21 Jahre alt sind und gleich zwei verschiedene Zielgruppen bedienen: Kinder mit einem unschuldigen Blick und eben auch Erwachsene. Von Nabokovs Lolita über Britney Spears’ bauchfreien Pop in den Nullerjahren bis hin zu Schulmädchenpornos: Das Ideal der Jugendlichkeit gilt als erstrebenswert im ewigen Wettbewerb des Kapitalismus. Dass er im gleichen Augenblick konsumiert und ausbeutet, ist dem Konsumenten dabei allzu oft bewusst.

Verbieten oder hinnehmen?

Nun kann man natürlich mit dem Zeitgeist argumentieren: Es sei in den 50er und 60er-Jahren eben so üblich gewesen, man hätte auch früher und jünger geheiratet, das waren eben die 80er und überhaupt – man solle sich doch bitte nicht so anstellen. Doch diese Argumente zählen nicht, wenn man bedenkt, dass in den Songs immer nur über Mädchen gesprochen wird, während das besungene „Little Girl“ selbst nie zu Wort kommt oder sich in einer angemessenen Form äußern oder wehren kann.

Dass es bei besagten Stücken oft auch um verbotene Liebe geht, sagt viel über den Zeitgeist des „Summer of Love“ aus. Natürlich kann ein Kind nicht entscheiden, was richtig und falsch ist: Völlig frei waren lediglich die Rockstars – ihre Groupies wurden zu kulturellen Mythen, die besungenen Mädchen erscheinen heute lediglich als Mahnmale einer Kultur, die Frauen unterdrückt und objektiviert.

Mehr als Einzelfälle

Wie es um frauenfeindliche Textstellen steht, zeigt auch eine aktuelle Studie, für die mehr als 400 Charthits zwischen 2006 und 2016 analysiert wurden. Die Forscherinnen mussten feststellen, dass rund ein Drittel aller untersuchten Songs Textstellen enthielten, die Frauen abwerten oder erniedrigen. Dass Frauen sich im Musikbusiness noch immer nach oben kämpfen müssen und ihre Standpunkte oft ignoriert werden, hat sich zumindest noch nicht geändert.