Herrlich! Julius Weckauf weiß im gemütlichen Wohnzimmer Stil mit Eleganz zu verbinden. Foto: Verleih

Der Spielfilm „Der Junge muss an die frische Luft“ über die Kindheit des Komikers Hape Kerkeling mausert sich zum Kinohit: Rund zwei Millionen Besucher in nur drei Wochen, das hat es schon lange nicht mehr gegeben. Drei gute Gründe dafür.

Stutttgart - Die deutschen Kinobetreiber hatten im vergangenen Jahr nicht viele Gründe zu feiern. Viele neue Filme haben 2018 die kommerziellen Erwartungen bei weitem nicht erfüllt, dazu kam noch der überwarme Endlos-Sommer. Doch nun ist ihnen über den Jahreswechsel völlig unerwartet noch eine fette Perle in den Schoß geplumpst – und ausgerechnet ein deutscher Film ist es, der seit nunmehr drei Wochen endlich mal wieder für richtigen Besucherandrang sorgt: „Der Junge muss an die frische Luft“.

Die Jugenderinnerungen des Komikers Hape Kerkeling, zu Bildern gemacht von der Regisseurin Caroline Link, werden an diesem Wochenende sehr vermutlich die Schallmauer von zwei Millionen Besuchern brechen. Damit ist es der kommerziell erfolgreichste deutsche Film seit langem – und noch dazu derzeit auf Augenhöhe mit den Blockbuster-Krachern aus Hollywood à la „Aquaman“, „Mary Poppins’ Rückkehr“ und „Bumblebee“. Woran liegt das?

Der Hauptdarsteller ist eine wahre Wucht

Grund Nummer Eins ist zweifellos das Original, Hape Kerkeling. Man kann nur staunen: Obwohl der Komiker sich pünktlich zu seinem fünfzigsten Geburtstag fast komplett aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, obwohl es seit über vier Jahren letztlich nichts Neues mehr von ihm gibt, Hannilein, Horst Schlämmer, Siegfried Schwäbli, Uschi Blum und wie seine herrlichen Figuren alle heißen längst Geschichte sind, liebt das deutsche Publikum ihn offenbar noch immer. Unsere These darum: die erste Zuschauer-Million geht vor allem auf das Konto des weiter bestehenden Hape-Hypes quer durch fast alle gesellschaftlichen Schichten. Was die deutschen Komiker insgesamt angeht, hat er damit Loriot-Status.

Nachdem dieser erste Schwung die Kinos spätweihnachtlich belebt hat, setzte dann die zweite Welle ein – die Mund-zu-Mund-Propaganda, die persönliche Empfehlung von Filmfreund zu Filmfreund. Denn als „Junge“, der hier „an die frische Luft“ muss, ist bei Caroline Link bekanntlich Julius Maximilian Weckauf zu entdecken. Was für ein quicklebendiger Schatz belebt da plötzlich die Leinwand! Der elfjährige Schüler aus Jüchen bei Mönchengladbach kann die Geschichte des ungefähr gleichaltrigen Hape aus den siebziger Jahren Jahren so hinreißend frisch, so treffend, so überzeugend, aber auch so tränentreibend traurig verkörpern, dass man kaum glauben mag, dass er vor dem Casting nach eigenen Angaben in der Heimat nicht zumindest mal im Krippenspiel oder im Grundschulmusical mitgemischt haben will. Julius Weckauf muss man wirklich auf der großen Leinwand erlebt haben – und damit hätten wir dann die zweite Besuchermillion erreicht.

Die siebziger Jahre ohne Retro-Chichi

Aber spätestens jetzt werden die Zuschauer merken, dass es hier unabhängig vom großen echten und vom kleinen gespielten Hape Kerkeling auch schlicht wieder einen überaus gelungenen deutschen Film zu entdecken gibt, ebenso uneitel wie unprätentiös. Die 54-jährige Regisseurin Caroline Link ist ganz anders als das, was sonst so an Regiehengsten durch die hiesige Szene kleppert, diese Schweigers, Fitzens und Schweighöfers. Sie dreht weder oft noch viel und fällt bei vielen Kritikern seit Jahr und Tag irgendwie durchs Wahrnehmungs-Rost. Als sie 2001 den Oscar gewann für ihr Drama „Nirgendwo in Afrika“, waren viele ganz überrascht, weil sie zuvor noch nicht mal die Oscar-Nominierung bemerkt hatten.

Und nun ist Link mit „Der Junge muss an die frische Luft" das Kunststück gelungen, einerseits ganz ruhig und liebevoll wirklich authentisch, ohne jeden Retro-Chichi die Siebziger aufleben zu lassen, viele Pointen aus der komplexen Kindheitsgeschichte Kerkelings punktgenau auf die Leinwand zu bringen – und doch zugleich auch die Abgründe nicht zu vernachlässigen, das Verletzbare, den Schmerz, die Traurigkeit, ohne die diese Geschichte gar nicht zu verstehen wäre. Sicher, man hätte Hape Kerkelings Buch wohl auch als Serie produzieren können. Caroline Link aber zeigt, dass auch so ein Film als Film weiter seine Berechtigung hat. Woraus folgt: Ja, man kann warten, bis das alles irgendwann im Fernsehen läuft. Wer früher Freude haben will, geht ins Kino.