Oakes Fegley spielt den 13-jährigen Theo, der seine Mutter bei einem Terroranschlag verliert. Foto: Verleih

John Crowleys Verfilmung des Romans „Der Distelfink“ bietet schöne atmosphärische Momente – mehr nicht.

New York - Im New Yorker Metropolitan Museum stehen der 13-jährige Theo (Oakes Fegley) und seine Mutter vor einem Bild des Delfter Malers Carel Fabritius von 1654. Es zeigt einen Distelfinken, der auf einer Stange sitzt. Eine Kette am rechten Fuß hindert ihn daran wegzufliegen. Aber Theo ist abgelenkt. Er interessiert sich weniger für das kleinformatige Gemälde als für das Mädchen mit den roten Haaren, das neben ihm steht. Die Mutter (Nicole Kidman) geht schon einmal vor in den Nebenraum, als dort die Bombe explodiert. Nach dem Terroranschlag ist das Dasein des Jungen für immer in ein „Davor“ und „Danach“ unterteilt.

Das Einzige, was diese beiden gewaltsam auseinander gerissenen Lebensteile miteinander verbindet, ist das Gemälde des angeketteten Vogels, das Theo unbemerkt aus dem Museum mit nach Hause nimmt. Es ist ein Geheimnis, das ihn zunächst über den Verlust der Mutter hinweg tröstet, ihn später zunehmend belastet und sein Leben als junger Erwachsener zu zerstören droht. In ihrem Roman „Der Distelfink“ (2014) folgt Donna Tartt dem Lebensweg des traumatisierten Jungenund verbindet dabei die Coming-of-Age-Story mit Elementen des Bildungs- und Kriminalromans. Von der psychologische Spannkraft der Vorlage bleibt in John Crowleys Kinoadaption leider nur noch wenig übrig. Die lineare Erzählung wurde mit dem Tranchiermesser zerstückelt und auf drei wechselnde Zeitebenen verteilt. Das führt aber dazu, dass sich der Film trotz einer ausgedehnten Laufzeit von fast zweieinhalb Stunden zu wenig auf die innere Entwicklung des traumatisierten Jungen einlassen kann. Dessen emotionale Verbindung zur Mutter nimmt auf der Leinwand ebenso wenig Gestalt an wie seine Fixierung auf das Gemälde als Verlust-Fetisch.

Partiell kann der Film durch atmosphärische Stimmungen überzeugen, wie etwa mit der verlassenen Vorstadtsiedlung in der Wüste Nevadas, die durch die Wirtschaftskrise zur Geisterstadt geworden ist. Oder in der Werkstatt des Antiquitätenhändlers, in der Theo zwischen dem Geruch alter Möbel Seelentrost findet. Aber diese sanft glühenden Szenen können nicht über das narrative Misslingen hinwegtrösten. Bei dem Versuch Werktreue und dramaturgische Eigeninitiative miteinander zu verbinden, wird der Film selbst zum angeketteten Distelfinken, der ein wenig flattern, aber einfach nicht losfliegen kann.

„Der Distelfink“ USA 149 min R: John Crowley B: Peter Straughan, Donna Tartt D: Oakes Fegley, Anselm Elgort, Nicole Kidman