Schon vor zwei Wochen wurden die namentlichen Abstimmungen ins Foyer vor dem Plenarsaal verlegt – an diesem Mittwoch wird deutlich strenger auf Abstand geachtet werden. Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

In der Coronakrise steht im Bundestag eine denkwürdige Sitzungswoche an – was die Abläufe und die Dimension der Gesetzespakete betrifft.

Berlin - Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben über das Wochenende und am Montag viel elektronische Post bekommen. Sie lässt sich in zwei Kategorien aufteilen: So haben etwa die beiden Parlamentsgeschäftsführer der Regierungsfraktionen von Union und SPD ihren Kollegen ausführlich geschildert, wie die Sitzungswoche unter Corona-Bedingungen ablaufen wird. Eine noch viel größere Datenmenge umfassen die vielen Gesetzesvorlagen, die das Bundeskabinett an diesem Montag beschlossen hat und nun vom Bundestag im Eilverfahren beschlossen werden sollen.

Es kommt alles zusammen in dieser Woche – eine noch nie dagewesene Krise, die bis dato unbekannte gesetzgeberische Maßnahmen und quasi über Nacht die Freigabe von ungefähr einer Billion Euro erfordern – allein der Nachtragshaushalt, über den abgestimmt wird, ist 156 Milliarden Euro schwer. Gleichzeitig ist das Parlament, das die Regierung kontrollieren und seinen Segen für die Notmaßnahmen geben soll, nur eingeschränkt arbeitsfähig. Mehrere Abgeordnete wie beispielsweise der Grüne Cem Özdemir oder der FDP-Mann Alexander Graf Lambsdorff sind selbst mit dem Erreger infiziert, andere hatten Kontakt zu Erkrankten und befinden sich in häuslicher Quarantäne, allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel, die deshalb am Mittwoch auch nicht wie ursprünglich geplant die Generaldebatte mit einer Regierungserklärung zur Coronakrise eröffnen wird. Auch gehören einige ältere oder chronisch kranke Abgeordnete zu den Risikogruppen, die nun ausdrücklich nicht ihre Wahlkreise verlassen und sich auf den Weg nach Berlin machen sollen.

„Schweigen wird als Zustimmung gewertet“

Die parlamentarische Routine ist auf das Allernotwendigste zusammengestrichen worden – getreu der Coronakrisen-Maxime, auf jeden nicht absolut zwingenden persönlichen Kontakt zu verzichten. Es gibt nur eine Plenarsitzung, nämlich am Mittwoch, bei der auch nur ein Teil der Abgeordneten anwesend sein soll – manche werden sogar auf der Besuchertribüne sitzen, um Abstand zu wahren. Es tagen nur die Ausschüsse, die mit dem Krisenpaket befasst sind, und das auch nur in kleiner Besetzung. Vorbesprechungen finden über Telefon- und Videokonferenzen statt. Die Union verzichtet auf ihre Fraktionssitzung, Einwände gegen die Maßnahmen der Regierung werden bis Dienstagabend 18 Uhr im Umlaufverfahren per E-Mail eingesammelt. „Schweigen wird mit Fristablauf als Zustimmung gewertet“, schreibt der Unions-Parlamentsgeschäftsführer Michel Grosse-Brömer an seine Kollegen.

Namentliche Abstimmungen, die die Präsenz der Abgeordneten an den Wahlurnen erfordern, werden ebenfalls auf ein absolutes Minimum reduziert – weder beim Irak-Mandat noch beim Nachtragsetat oder den umfassenden Kreditgarantien wird das sonst für bedeutende Voten übliche Verfahren angewandt. Eine große Ausnahme gibt es. Um die in Artikel 115 verankerte Schuldenbremse aufgrund einer „außergewöhnlichen Notsituationen“ vorübergehend ignorieren zu können, verlangt das Grundgesetz eine Kanzlermehrheit, aktuell also die Zustimmung von mindestens 355 der insgesamt 709 Bundestagsabgeordneten.

Für dieses eine namentliche Votum an dem einen Sitzungsmittwoch wird nicht nur ein zusätzliches Kontingent weit verstreuter Wahlurnen aufgebaut und eine zeitliche Streckung der Abstimmung anvisiert, sondern auch Druck aufgebaut. „Wenn ihr es gesundheitlich verantworten könnt, kommt bitte kommende Woche nach Berlin, um an der Abstimmung am Mittwoch teilnehmen zu können“, schrieb der SPD-Parlamentsgeschäftsführer Carsten Schneider an seine Fraktion: „Vom Ergebnis dieser Abstimmung hängt es ab, ob es uns gelingen kann, eine der schwersten Krisen für uns Land seit vielen Jahrzehnten zu bewältigen. Es geht um sehr viel.“

Grüne und Linke springen ein

Trotzdem rechnen mehrere Koalitionspolitiker am Montag intern damit, allein schon wegen der gesundheitlich verhinderten Kollegen die Kanzlermehrheit nicht selbst auf die Beine stellen zu können. Im Hintergrund haben daher bereits Gespräche mit den Oppositionsparteien stattgefunden, die auch bereits Unterstützung signalisieren. Zustimmung wird es nicht zuletzt aus inhaltlichen Gründen von Linken und Grünen geben. „Wir finden es richtig, in dieser Situation die Ausnahmeregelung der Schuldenbremse zu nutzen“, sagt Franziska Brantner, eine der parlamentarischen Geschäftsführerinnen der Grünen-Fraktion. Linksfraktionsvize Fabio de Masi hat am Montag daran erinnert, dass seine Partei „unbeschadet unserer grundsätzlichen Kritik an der Schuldenbremse“ das jetzige Vorgehen der Regierung gefordert hat: „Daher möchten wir bei der Feststellung der außergewöhnlichen Notlage die Kanzlerinnenmehrheit stützen.“ Ähnliches ist auch aus FDP zu hören, auch wenn die Zusage noch nicht offiziell ist.

„Es wird eine denkwürdige Sitzungswoche“, sagt Unionsfraktionsvize Andreas Jung, „sowohl was das Finanzvolumen wie die Abläufe anbelangt“. Schließlich soll nicht nur der Bundestag im Rekordtempo jeweils erste, zweite und dritte Lesungen einer Fülle von Anti-Krisengesetzen verabschieden, sondern auch der Bundesrat in einer Sondersitzung am Freitag seine Zustimmung erteilen. „Entscheidend ist ein handlungsfähiger Staat, der Partner und Schutzmacht der Bürgerinnen und Bürger ist“, sagt der SPD-Mann Schneider und verspricht: „Der Bundestag wird auch künftig handlungsfähig sein - mit einer befristeten Regelung zum Quorum für die Beschlussfähigkeit sorgen wir dafür, dass der Bundestag seine Kontrollfunktion auch in der Krise wahrnehmen kann.“