Tausende von Bosch- und Daimler-Mitarbeitern haben für ihre Jobs demonstriert. Foto: Joachim Roettgers

Bosch-Mitarbeiter gehen wegen der Dieselkrise auf die Straße, Schüler marschieren für saubere Luft. Wer glaubt, dass der eine Protest nichts mit dem anderen zu tun hätte, irrt, meint Lokalchef Holger Gayer.

Stuttgart - Die Zukunft ist eine schwierige Gefährtin. Süß und berauschend kann sie sein, wie eine Rumkugel nach Omas Rezept, aber auch bösartig wie ein Soufflé, das sich zu einem luftigen Traum öffnen soll und dann doch auf dem Boden kleben bleibt, weil der Bäcker etwas falsch gemacht hat. Das Fiese an der Nummer mit der Zukunft ist nämlich, dass der Mensch morgen nur schwer den Fehler korrigieren kann, den er heute macht. Von Vorteil ist es daher, wenn er weiß, was gestern war.

Es ist zum Beispiel keine neue Erscheinung, dass der Bürger ganz fix zum Demonstrant werden kann, wenn er Angst hat – oder etwas erhalten will, das ihm wichtig ist. Das Phänomen ist in dieser Woche gleich zweimal aufgetreten: am Mittwoch, als Tausende von Bosch-Mitarbeitern in Feuerbach auf die Straße gegangen sind, weil sie ob der Dieselkrise um ihre Jobs fürchten, und am Freitag, als rund um den Globus Zehntausende von Schülern die Erwachsenen einmal mehr daran erinnert haben, dass sie ihrer Verantwortung für eine saubere Luft nicht nachkommen.

Der erste Blick ist führt in die Irre

Auf den ersten Blick wirkt es, als träfen da natürliche Gegner aufeinander: hier die Jugendlichen, die mit naivem Schmackes Schluss machen wollen mit der Abgasgesellschaft, dort die Dieselarbeiter, die stur an ihrem Stinker festhalten. Doch bei näherer Betrachtung erkennt man, dass das Gegenteil der Fall ist: Beide Proteste fußen darauf, dass die Demonstranten erkannt haben, wie notwendig der Wandel ist.

Viele Bosch-, Mercedes- und Porsche-Mitarbeiter ahnen längst, dass die besten Tage des Diesels vorbei sind. Daher fragen sie sich, welche Ideen ihre Chefs haben – und die Politiker, die bald wiedergewählt werden wollen. Doch statt darüber nachzudenken, wie saubere Luft und fließender Verkehr in Einklang zu bringen sind, streiten sich Grüne und Schwarze darüber, wo wie viele Messstellen aufgehängt werden sollen, um die Schadstoffwerte in der Stadt so niedrig wie möglich erscheinen zu lassen. Noch absurder wirkt der erneute Aufruf von CDU und FDP zur Pro-Diesel-Trittbrettfahrerdemo an diesem Samstag. Da manteln sich Leute auf, deren Parteien (in Regierungsverantwortung) jahrelang ignoriert haben, dass die Grenzwerte überschritten werden. Gleichzeitig haben sie den Bürgern in trauter Eintracht mit den Herstellern erzählt, dass sie einen Diesel kaufen sollen, um die Umwelt zu schonen. Scheinheiliger geht’s nimmer.

„Ich glaube an den Verbrennungsmotor“ – Kaiser Wilhelm II. als Pate?

Es ist 60 Jahre her, dass die Republik erstmals von Demonstrationen erschüttert wurde, die ihren Ausgang in der Krise einer Massenindustrie hatte. Im September 1959 marschierten 60 000 Bergarbeiter aus Sorge um ihren Job durch Bonn. Ihre Chefs hatten zuvor die Kohlepreise erhöht und dabei übersehen, dass selbst Kanzler Adenauer seine Heizung von Koks- auf Ölfeuerung umgestellt hatte – aus heutiger Sicht eine umweltpolitische Vertreibung des Teufels mit dem Beelzebub, wirtschaftlich in damaliger Zeit aber ein Menetekel. Nach einer Recherche des „Handelsblatts“ stieg der Ölverbrauch in der Bundesrepublik in elf Jahren von 7,7 Millionen Tonnen (1958) auf 58 Millionen Tonnen (1969). Die Kohleförderung ist in derselben Zeit um ein Viertel auf 111 Millionen Tonnen gesunken. Zwei Drittel der Arbeitsplätze unter Tage gingen in dieser Zeit verloren.

Was das nun für den Diesel heißt? Für die Autoindustrie? Für die Politiker in Stadt, Land, Bund? Sie können die Augen vor den Demonstrationen von Schülern und Beschäftigten verschließen und ein altes Zitat von Kaiser Wilhelm II. neu interpretieren: „Ich glaube an den Verbrennungsmotor. Andere Arten der Mobilität sind eine vorübergehende Erscheinung.“

Oder sie arbeiten an der Zukunft.