In Unternehmen arbeiten immer mehr Ältere. Daher müssen sich Unternehmen verstärkt um die Gesundheit der Mitarbeiter kümmern. Foto: dpa

Krebs, Diabetes, Bluthochdruck: Die Liste der Krankheiten im Alter ist lang. Umso mehr müssen Firmen dafür sorgen, dass Beschäftigte bis zur Rente arbeitsfähig bleiben – sonst nimmt der Fachkräftemangel noch schneller zu.

Stuttgart - Als die Firma Liebherr, vor allem bekannt für Kühlschränke und Kräne, das Durchschnittsalter ihrer Mitarbeiter im Jahr 2022 hochrechnete, schrillten die Alarmglocken: Im Schnitt sind die Angestellten dann zwischen 55 und 67 Jahre alt. Mitarbeiter im Alter von 50 plus werden beinahe zwei Drittel der Belegschaft ausmachen. Im gewerblichen Bereich, in dem die Angestellten körperlich arbeiten, liegt der Krankenstand bereits jetzt bei acht Prozent. „Das konnten wir nicht ignorieren“, sagt Liebherr-Personalbetreuer Hans Heuschmid. Angesichts des demografischen Wandels beschloss das Unternehmen daher vor zwei Jahren, die Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit der Mitarbeiter stärker zu fördern – und am Projekt „Haus der Arbeitsfähigkeit“ teilzunehmen.

Mithilfe des in Finnland entwickelten Modells meistern Unternehmen die Folgen des demografischen Wandels besser. Die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiter steigert sich oder bleibt zumindest erhalten. Das belegen verschiedene Studien. Der Begriff Arbeitsfähigkeit beschreibt das Gleichgewicht zwischen dem, was vom Beschäftigten erwartet wird, und dem, was er leisten kann. Das Modell besagt: Nur wenn beides zusammenpasst, arbeitet der Beschäftigte gut – und bis ins hohe Alter. „Die Arbeit muss an die alternde Belegschaft angepasst werden, nicht umgekehrt“, betont der Arbeitsmediziner Jürgen Tempel. Er hilft in Deutschland Betrieben dabei, das Modell umzusetzen.

Die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter sei nur das Fundament, die erste von vier Etagen im Modell, sagt Tempel: „Man kann trotz Krankheit leistungsfähig bleiben.“ Die Frage sei, wie Unternehmen damit umgehen. Deshalb kombiniert das Modell weitere Faktoren, die sich auf die Arbeitsfähigkeit auswirken: das Wissen und die Fähigkeiten der Beschäftigten, ihre Werte und Einstellungen sowie als vierten Stock die Arbeit selbst und was sie ausmacht. Das Modell wiederum steht in einem Umfeld aus Familie, Freunden und Gesellschaft. Alles gehört zusammen, nichts lässt sich getrennt voneinander betrachten.

Krankenstand ist gesunken

Bei Liebherr ist das Hausgeräte-Werk in Ochsenhausen (Kreis Biberach) Mitte 2013 zum Pilotbereich geworden. Dort hatte mehr als ein Drittel der 300 Mitarbeiter in einem Fragebogen zugegeben: „Ich kann mir nicht vorstellen, meine Arbeit bis zum 65. Lebensjahr oder bis zur neuen gesetzlichen Regelrente auszuführen.“ Im September hakte Liebherr nach. Was die Angestellten zwei Jahre später sagen, erfährt der Betrieb zwar erst im Oktober, nachdem die Fragebögen ausgewertet sind. Immerhin: Der Krankenstand sank um 0,1 Prozent, wohingegen er laut Heuschmid in anderen Bereichen um 0,7 Prozent gestiegen ist.

Verändert hat sich im Werk Ochsenhausen noch mehr. Denn auch diese Frage beantworteten die Mitarbeiter: „Was braucht ihr, um bis zur Rente bei uns zu arbeiten?“ Die Arbeitsplätze verstellen sich jetzt automatisch auf die Arbeitshöhe der Mitarbeiter. Und es gibt neue Pausenregelungen: Die Beschäftigten müssen alle eineinhalb Stunden wenigstens einige Minuten verschnaufen. „Wir haben nun eine ruhige, kontinuierliche Fertigung. Es zählt nicht mehr nur die Stückzahl“, sagt Heuschmid. Besonders wichtig aber sei die Kommunikation: Heute reden Mitarbeiter mit ihren Vorgesetzten über ihre Stärken und Schwächen, Wünsche und Bedürfnisse. Früher schwieg man darüber.

Alter beeinflusst Gesundheit wesentlich

Liebherr ist eines von vielen Unternehmen in Baden-Württemberg, das sich um die Gesundheit seiner Mitarbeiter kümmert. Und das ist gut so. Laut aktuellem Gesundheitsreport der Krankenkasse Barmer GEK spürt der Südwesten schon in 15 Jahren die Folgen der immer älter werdenden Gesellschaft. Demnach sinkt bis zum Jahr 2030 der Anteil der Erwerbspersonen um 4,2 Prozent. Gleichzeitig steigt in den Unternehmen der Anteil der Mitarbeiter über 60 um mehr als zwei Drittel. Die arbeitsfähige Bevölkerung – Frauen und Männer von 15 bis 64 Jahren – macht dann knapp 56 Prozent der Gesamtbevölkerung im Südwesten aus. Noch sind es fast zwei Drittel.

Aus Sicht der Barmer führen mehr ältere Mitarbeiter zu mehr kranken Mitarbeitern und damit zu mehr Fehlzeiten in Betrieben. „Das Alter hat einen wesentlichen Einfluss auf die Gesundheit“, sagt Winfried Plötze, Landesgeschäftsführer der Barmer GEK Baden-Württemberg. Arbeitnehmer leiden ab einem Alter von 40 bis 45 verstärkt unter Problemen mit dem Rücken, der Wirbelsäule, den Knien und der Hüfte. Hinzu kommen Krebs, Bluthochdruck oder Diabetes.

Bis 2030 gibt es allein wegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen fast 14 Prozent mehr Fehltage, warnt Plötze. „Die Arbeitgeber sollten sich in den nächsten zehn Jahren deshalb intensiv mit der Gesundheit ihrer Mitarbeiter und den Bedingungen am Arbeitsplatz auseinandersetzen.“ Gelingt es den Betrieben nicht, die Arbeitsfähigkeit ihrer Beschäftigten langfristig zu erhalten, verschärfe sich der Fachkräftemangel weiter.