Der saudische König Salman hat ein Reform-Dekret erlassen. Foto: dpa

Der Herrscher des erzkonservativen Königsreichs hat angeordnet, Führerscheine auch an Frauen auszugeben. Jahrzehntelang hatten die Frauen in Saudi-Arabien gegen das Fahrverbot angekämpft.

Stuttgart - Dass plötzlich ein anderer Wind durch den Wüstenstaat weht, hat bereits eine unscheinbare Meldung der vergangenen Woche gezeigt: Der Prediger Saad al-Hijri hatte in einem im Internet verbreiteten Video erklärt, dass Frauen mit ihrem „Winzhirn“ nicht in der Lage seien, ein Auto sicher durch den Straßenverkehr zu lenken. Der ranghohe Kleriker führte in Seelenruhe aus, dass die Gehirne von Frauen nur halb so groß wie die von Männern seien – und wenn mit Shoppen beschäftigt, schrumpfe das weibliche Hirn gar auf nur ein Viertel der Größe. Folglich sei es ein Ding der Unmöglichkeit, Frauen im Land ans Steuer zu lassen.

Es waren Äußerungen, die im erzkonservativen Königreich vor zehn Jahren kaum für Ärger gesorgt hätten. Doch der ranghohe Prediger Saad al-Hijri bekam am vergangenen Freitag zu spüren, was passiert, wenn man plötzlich auf der falschen Seite der Geschichte steht: Ihm wurde untersagt, in der saudischen Provinz Azir weiter zu predigen.

Für die Frauen wog das Fahrverbot schwer

Am Dienstagabend wurde nun der Hintergrund der ungewöhnlich harschen Strafe klar: Das saudische Königshaus hat sich entschlossen, das überkommene Fahrverbot für seine weibliche Bevölkerung aufzuheben. König Salman habe die Regierung angewiesen, Regularien zu erarbeiten, nach denen sowohl Männern als auch Frauen Fahrerlaubnisse erteilt werden sollen, hieß es am Dienstag in einer Mitteilung der staatlichen saudischen Presseagentur SPA.

Es ist eine unerhörte Reform im strikt-religiösen Königreich – für die Frauen kommt es einer Revolution gleich. Neben den vielen Regularien, die Vätern und Ehemännern im Land quasi absolute Kontrolle über ihre Töchter und Ehefrauen geben, wiegt das Fahrverbot mit am schwersten: Es hat zur Folge, dass Frauen im Grunde nie ohne die Begleitung eines Mannes das Haus verlassen können. In Form von Chauffeuren und männlichen Verwandten wacht stets ein männliches Auge über sie.

Wie groß die Angst vor diesem Stück weiblicher Unabhängigkeit ist, zeigte die Verbissenheit, mit der der männliche Klerus gegen die Fahrerlaubnis kämpfte. Immer wieder hatten Frauen gegen das Verbot gekämpft – und mussten dafür viel Mut aufbringen. Gesetzesbrecherinnen hinterm Lenkrad wurden mehrfach festgenommen.

Bald können die Frauen mit einem Autokorso feiern

Die Entscheidung König Salmans ist dabei nur eine von mehreren Lockerungen: Erst am vergangenen Wochenende war Frauen erstmals Zutritt zu einem Sportstadion gewährt worden, wo sie in Begleitung ihrer Familien die Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag verfolgen konnten. Im Juli wurde Mädchen erlaubt, am Sportunterricht staatlicher Schulen teilzunehmen.

Dass das saudische Königshaus offen für derlei Reformen ist, ist dabei wenig überraschend: Die schwerreiche Saud-Familie lässt ihre Kinder gerne im Ausland erziehen und orientiert sich in ihrem Lebensstil mehr am Westen, als es die inländische Propaganda glauben macht.

Gleichzeitig sitzt die Angst vor dem religiösen Establishment tief: Konservative Prediger haben enormen Einfluss auf die Meinung der (männlichen) Bevölkerung. Mit ihren Freitagspredigten kontrollieren sie die Straße mehr als die entrückte „verwestlichte“ Königsfamilie in ihren Palästen. Die Königstreue der Prediger ist bitter erkauft – in gesellschaftspolitischen Fragen lässt ihnen die Herrscherfamilie meist freie Hand. Die jüngste Lockerung zeugt vom wachsenden Selbstbewusstsein König Salmans, der erst seit 2015 regiert, und seiner teils jungen, reformorientierten Prinzen-Berater.

Vorsicht will der König aber in jedem Fall walten lassen: Der Staat werde trotz der Neuerung „weiter die Sicherheit garantieren“, ließ das Königshaus am Dienstag verlauten. Es bleibt zu hoffen, dass die saudischen Frauen ihre neu gewonnene Freiheit in naher Zukunft mit einem Autokorso feiern können.