Gabriele D’Inka sitzt mit im Vorstand des Weißenhofvereins. Foto: Gottfried Stoppel

Gabriele D’Inka erklärt am Strümpfelbacher Wengerthäusle die aktuelle Bedeutung der Stuttgarter Weißenhofsiedlung im laufenden Prozess der Internationalen Bauausstellung 2027.

Weinstadt - Was können wir hier in der Region von der Stuttgarter Weißenhofsiedlung lernen? Diese Frage hat sich die Fellbacher Architektin Gabriele D’Inka für die abschließende, vom Weinstädter Architekturbüro a+b in der geografischen Mitte der Region initiierte Debattenrunde „Bauhaus trifft Gartenschau“ gestellt. 100 Jahre nach der Weißenhofsiedlung entwickle die Internationale Bauausstellung 2027 (IBA) neue, moderne Visionen für die gesamte Stadtregion Stuttgart – eben mit ähnlicher Zielsetzung – wie einst bei der Werkbundausstellung auf dem Weißenhof galten, betonte die Architektin, die im Vorstand des Vereins der Freunde der Weißenhofsiedlung sitzt: „Mutig in die Zukunft zu gehen und radikale Projekte umzusetzen, die erst einmal für Kontroversen sorgen, aber für lange Zeit prägend sein können.“

Der Stuttgarter Werkbund

Auch in Stuttgart habe damals der Kessel gebrodelt – „die Bauhaus-Idee von Klarheit, und Innovation, die alle Lebensbereiche umfasst“. Der Werkbundausstellung auf dem Weißenhof seien in den Jahren vor 1927 auch diverse Veranstaltungen und Ausstellungen vorangegangen. In einer ersten Denkschrift habe der Stuttgarter Werkbund 1925 Grundsätze dargelegt: Wohnungen mit den Mitteln moderner Gestaltung zu schaffen, neue rationelle Bautechniken auszuprobieren und „die starre Ordnung der Gebäudestellung längs und quer zur Straße“ zu überwinden.

Was die 17 Architekten aus fünf Ländern – unter ihnen Le Corbusier, Mies van der Rohe und Walter Gropius – dann als Siedlung mit einheitlichem Eindruck, flachen Dächern, geometrisch geformten Baukörpern und versetzter Anordnung größerer und kleinerer Häuser realisierten, das habe auch damals zunächst keineswegs allen gefallen. Wie etwa der Kommentar eines Oberlehrers und Baureferenten in einer Kleinstadtzeitung zeige: „Demjenigen Architekten, der die Weißenhofsiedlung in Stuttgart erfunden hat, sollte man stundenlang in die Fresse hauen.“ Die bayerische Schreinerzeitung sah gar „die deutsche Gemütsart durch Nichtachtung deutschen Denkens und Empfindens verletzt“. Von konservativen Stuttgarter Architekten seien vor allem die Flachdächer scharf kritisiert worden. Im einsetzenden Nationalsozialismus wurden die Diffamierungen dann eindeutiger und heftiger – von „entartet“ bis hin zur „Arabersiedlung“.

Es geht um neue Impulse

Heute, so Gabriele D’Inka, sei die klassische Moderne „für unsere Generation eine wichtige Grundlage, es sind unsere Wurzeln“. Sei es damals um vielfältige Wohnungsformen gegangen und um die Abkehr vom Wohnen in herrschaftlichen Villen oder gedrängten Hinterhofbebauungen, so brauche die heutige Zeit wiederum ganz neue, sozialpolitische, bauwirtschaftliche und architektonische Impulse. Im Zentrum stünden da – ausdrücklich auch bei der IBA 2027 – die Themen Digitalisierung, Endlichkeit von Ressourcen, Klimawandel und Umweltzerstörung. Aber auch der Mangel an bezahlbarem Wohnraum, Umdenken bei der Mobilität und generell „die Gefahr der Spaltung unserer Gesellschaft, die Störungen im sozialen Miteinander als essenzielle Grundlage unseres Zusammenlebens“.