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Der Ludwigsburger Oberbürgermeister macht keine Fehler – auch nicht bei der Flüchtlingspolitik. Das hat er dieser Tage einmal mehr den Bürgern und der Presse klar gemacht. Eine persönliche Betrachtung.

Ludwigsburg - Sie kennen sicher diesen hyperaktiven und virilen Politiker, der, sobald die Presse von Dingen berichtet, die ihm missfallen, die Medien beschimpft und unangenehme Meldungen zu Fake-News erklärt. Natürlich, die Rede ist vom Ludwigsburger Oberbürgermeister. Und was das Schöne an dessen regelmäßig wiederkehrender Schelte ist: Werner Spec packt nicht einfach nur die ganz große Keule aus – das kann ja jeder – er hat auch eine Erklärung für das offensichtliche Versagen der Presse parat: „Die müssen halt Auflage machen“, sagt er dann. Und dafür sei diesen Journalisten nun mal jedes Mittel recht.

Wir von der Presse sind natürlich dankbar für so viel Verständnis. Der OB ist einer der ganz wenigen Menschen, die uns wirklich verstehen. Er nimmt uns in Schutz, denn er weiß um unsere Not. Er weiß, dass wir praktisch jeden Tag mit dem Rücken zur Wand stehen, und uns Dinge ausdenken müssen, die natürlich nie und nimmer wahr sind. Lügen ist die erste Journalistenpflicht! Die Wahrheit, die würde uns ja eh niemand abkaufen. Dafür sind die Leser – entschuldigen Sie bitte, aber wir geben hier nur die Gedankengänge des Oberbürgermeisters wieder – einfach zu dämlich. Die Leser können nicht unterscheiden, und sie können sich auch keine eigene Meinung bilden. Schade eigentlich.

Das Eingeständnis eines Fehlers?

Aber zum Glück gibt es ja immer noch den einen im Rathaus, der die wahre Wahrheit kennt. Genau! Darum ist es also immer gut, wenn der Leser als Bürger persönlich zu seinem OB kommt – etwa zu Ratssitzungen oder zu Informationsabenden in Sachen Flüchtlingsunterkünften. Dann kann er mal aus erster Hand erfahren, wie die Dinge wirklich sind. Aber halt, wie war das noch in dieser Woche? Was haben die Bürger denn am Montag bei einem Infoabend in der Südstadt und am Mittwoch im Gemeinderatsausschuss erfahren? Nun, das Wichtigste zuerst: Was in den Zeitungen stand, stimme nicht. Die Presse habe Petitessen zu Riesenproblemen aufgebauscht. Und, Sie ahnen es sicher schon: „Die müssen halt Auflage machen!“

Aber danach kam noch etwas. Sollte das vielleicht das Eingeständnis eines Fehlers gewesen sein? Man habe viele Probleme in der Südstadt übersehen, sagte Spec. Und dann auch das: „Wir können nie alles überblicken.“ Was sind das für Töne? So etwas hat man lange nicht gehört. Aber Vorsicht, wer nun glaubt, hier übe jemand Selbstkritik oder er versuche gar, sich als Menschen wie du und ich zu präsentieren, verkennt das großartige Demokratieverständnis des Ludwigsburger Regenten. Für ihn heißt Demokratie nicht nur, im Interesse der Bürger zu handeln. Nein, das geht viel tiefer: Es heißt auch, Schuld und Verantwortung auf viele Schultern zu verteilen – nur nicht auf die eigene.

Vertagt aufs neue Jahr

„Wir“ und „man“ sind dabei selbstverständlich nur Platzhalterbegriffe für die vielen kleinen Sündenböcke. Menschen, die leider fehlerbehaftet sind, mit denen der OB aber dummerweise zusammenarbeiten muss. Das sind mal die Mitarbeiter seiner Verwaltung, mal die Mitglieder des Gemeinderats. An der Stelle sind seine Kategorien nur selten scharf.

Auf eine zentrale Frage aber bekamen die Bürger auch an diesen exklusiven Abenden mit dem OB keine Antwort. Ob es daran lag, dass man die Schuld dafür weder der Presse noch den quengeligen Stadträten in die Schuhe schieben konnte? Die Frage lautete: Warum wurden die Vorschläge für eine Anschlussunterbringung von Flüchtlingen erst Anfang November vorgestellt? Und warum, schieben wir hinterher, hat man sich hier in Zeitdruck manövriert, schließlich handelt sich es um ein Problem mit Ansage? Statt selbst etwas in die Wege zu leiten, hat der OB im Sommer über eine „Kriegserklärung“ der bösen Nachbarn Remseck und Kornwestheim gewettert, die sich tatsächlich trauen, in Pattonville Unterkünfte für Flüchtlinge zu bauen.

Doch sobald die Diskussionen dieser Tage auf diese Frage zusteuerten, zog es der OB vor, eine Advents(Nebel)kerze anzuzünden, indem er den Konsens beschwor. Und das Mitgefühl mit den Verfolgten. Und die Notwendigkeit, den Blick nach vorne zu richten. Vorne heißt in diesem Fall, ins kommende Jahr, das in Ludwigsburg mit einem ungelösten Flüchtlingsproblem beginnen wird. Nur gut, dass 2018 noch so weit weg ist, und dass Advent ist, und dass uns allen ganz arg warm ums Herz ist.