Die in den Irak zurückgekehrte Aschwak T. hält ein Porträt von IS-Opfern aus ihrem Heimatdorf in den Händen. Foto: AFP

Eine junge Frau will in Schwäbisch Gmünd ihren Peiniger vom IS getroffen haben. Ihr Therapeut hält ihre Aussage für glaubwürdig und ist nicht überrascht: Viele seiner Patientinnen fühlten sich in Deutschland bedroht.

Stuttgart - Daniel Merk macht sich Sorgen um seine Patientin. „Fünf Mal haben wir in den letzten zwei Tagen mit ihr telefoniert“, sagt der Psychologe. Er betreut viele Jesidinnen – und möchte aus Sicherheitsgründen nicht mit seinem richtigen Namen in der Zeitung stehen. Auch der Sitz der Beratungsstelle, die er leitet, soll nicht genannt werden. Seine Patientin, die 19-jährige Jesidin Aschwak T., hat eine mediale Lawine losgetreten: In einem Video auf Youtube berichtete die nach Deutschland geflohene junge Frau, sie sei in Schwäbisch Gmünd einem IS-Mitglied begegnet, das sie im Irak drei Monate lange gefangengehalten und mehrmals vergewaltigt hat. T. fühlte sich von den Behörden nicht ernstgenommen. Sie kehrte in den Irak zurück.

Kritik am Umgang mit seiner Patientin

Daniel Merk glaubt seiner Patientin. Würden Frauen, die schwere sexuelle Gewalt erlebt haben, nicht therapiert, könnten Verwechslungen leicht passieren. „Aschwak hatte die Traumatherapie erfolgreich abgeschlossen. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass sie den Mann verwechselt hat.“ Merk kritisiert den Verlauf, den die Debatte genommen hat: „Es ist eine Diskussion über ihre Glaubwürdigkeit entbrannt“, sagt er. Dabei gerate das Wichtigste aus dem Fokus. „Die Angst der Jesidinnen ist massiv, real – und es gibt unabhängig von Aschwaks Schilderung viele Anlässe dafür.“

Er wisse von mindestens zwei anderen Frauen, die ein IS-Mitglied erkannt haben wollen. Zudem habe es mehrfach Vorfälle mit arabischen Männern gegeben. „Einige Frauen in Schwäbisch Gmünd etwa waren bei der Tafel, als sie von syrischen Männern sexuell bedrängt wurden“, schildert Merk. Eine Jesidin aus Schwäbisch Gmünd, die ihren Namen nicht preisgeben will, bestätigt den Vorfall. Sie hätten den Laden dann gemieden, zur Polizei gegangen seien sie nicht. Bei den schwer traumatisierten Frauen führten solche Vorfälle zu existenzieller Angst, so der Psychologe.

Diese Frauen fühlen sich in Deutschland nicht sicher

Wie schwer manche Vorwürfe zu greifen sind, zeigt eine andere Geschichte. Eine weitere jesidische Frau, die ihren Namen nicht offen nennen möchte, will in Schwäbisch Gmünd einen IS-Mann gesehen haben. Die Frage, ob sie ihn aus dem Irak kenne, verneint sie. Sie habe ihn nie zuvor gesehen. „Aber ich habe seinen Bart und seine Kleidung gesehen, außerdem hatte er eine Verletzung. Da wusste ich, dass er für den IS gekämpft hat“, sagt sie. Aschwak T. ist in ihrem Urteil indes ganz klar: Der Mann habe sie ebenfalls erkannt und offen darauf angesprochen.

Die Anhänger des IS betrachten die Jesiden als Ungläubige. Merk ist indes sicher: Auch für viele sunnitisch geprägte arabische Männer seien jesidische Frauen Freiwild. Für ihn ist die Frage, ob T. tatsächlich ihren IS-Peiniger getroffen hat, daher sekundär. „Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass diese Frauen, die Schlimmstes durchgemacht haben, sich bei uns in Deutschland nicht sicher fühlen. Das ist ein Fakt und darauf sollte reagiert werden.“

Den Beamten vom Landeskriminalamt macht Merk keine Vorwürfe. „Die haben sehr einfühlsam und professionell gearbeitet“, sagt Merk, der T. zur Befragung begleitete. Dennoch hätten seine Patientinnen Angst. Aschwak T., sagt Merk, leidet unter der Debatte. „Der Eindruck, dass man ihr nicht glaubt, hat sie sehr getroffen.“