In nur anderthalb Jahrzehnten ist es dem Finanzdienstleister Wirecard gelungen, bis in den Dax aufzusteigen. Foto: AFP

Die „Financial Times“ haben Wirecard Unregelmäßigkeiten vorgeworfen. Der Bezahldienstleister weist diese Behauptungen zurück. Externe Prüfer haben bislang wohl auch keine Unregelmäßigkeiten entdeckt.

München - Für manchen gilt der Hightechkonzern als das deutsche Vorzeige-Start-up schlechthin. 2002 ist Wirecard knapp der Pleite entronnen, wiedergeboren worden und binnen 16 Jahren in den Dax aufgestiegen. Dort hat der digitale Zahlungsdienstleister aus Aschheim bei München vorigen Herbst die Commerzbank aus dem Leitindex verdrängt. Keine 48 Stunden hat es vorige Woche gebraucht, um den Dax-Aufsteiger in seinen Grundfesten zu erschüttern. Nach Betrugsvorwürfen der britischen Wirtschaftszeitung „Financial Times“ („FT“) ist der Aktienkurs in zwei Schüben um gut ein Drittel auf unter 110 Euro eingebrochen. Nun kämpfen Wirecard und Konzernchef Markus Braun um Ansehen, Vertrauen und Zukunft.

„Wir haben alles aufgearbeitet. Es gibt keinerlei Risiko“, erklärte Braun gegenüber dem „Handelsblatt“. Bei Wirecard sei nicht betrogen oder die Bilanz gefälscht worden. Dagegen stehen bislang zwei Berichte des „FT“-Reporters Dan McCrum. Blatt und Schreiber bleiben aller Dementis zum Trotz bei ihrer Darstellung.

Zwei Versionen einer Geschichte

Demnach hat die „FT“ Einblick in brisante Dokumente einer im Auftrag von Wirecard arbeitenden Anwaltskanzlei erhalten, die unter anderem nicht nur Urkundenfälschung belegen würden, sondern auch dahinterstehende Vergehen wir Betrug, Untreue oder Geldwäsche verdecken könnten. Die Wirecard-Spitze sei davon im Mai 2018 informiert worden. Stimmt das, sind alle Kursstürze gerechtfertigt und Braun hätte mehr als ein Reputationsproblem. Am Montag ist Wirecard seinerseits in die Offensive gegangen und erzählt die Geschichte wie folgt. Vorigen April habe ein Mitarbeiter in Singapur gegenüber der lokalen Wirecard-Rechtsabteilung Vorwürfe gegen einen Kollegen erhoben. Dieser habe zwischen 2015 und 2018 im finanziellen Umfang von 13,6 Millionen Euro Rechnungslegungsvorschriften verletzt. Eine daraufhin eingeleitete interne Untersuchung habe aber gezeigt, dass die Vorwürfe unbegründet waren.

„Darüber hinaus gab es Hinweise darauf, dass die Vorwürfe auch mit persönlichen Feindseligkeiten zwischen den beteiligten Mitarbeitern zusammenhängen können“, erklärt Wirecard nun. Der Fall habe weniger mit Bilanzen als mit persönlichen Animositäten zwischen Menschen zu tun, sagt Braun. Dennoch sei im Mai bei der Rechtsanwaltskanzlei Rajah & Tann eine unabhängige zweite Prüfung in Auftrag gegeben worden, die bald abgeschlossen sei.

Zwischenstand liegt vor

Vergangenes Wochenende hat sich Rajah & Tann mit einem Zwischenstand gemeldet, den Wirecard im Original veröffentlicht hat. Die externe Untersuchung dauere an, heißt es dort. „Wir haben bis heute keine schlüssige Feststellung für ein strafbares Fehlverhalten von Führungskräften oder Mitarbeitern des Unternehmens gefunden“, schreiben die Rechtsanwälte in Singapur.

Das ist an den Börsen nicht ohne Echo geblieben. Der Kurs der Wirecard-Aktie ist am Montag wieder um ein Zehntel gestiegen, hat damit die Verluste der Vorwoche aber nur zum Teil wettgemacht. Es bleiben also Zweifel. Die Polizei in Singapur prüft die Betrugsvorwürfe gegen Wirecard, laut einem Sprecher der Behörde. In Deutschland hat die Münchner Staatsanwaltschaft Vorermittlungen aufgenommen, und auch die Finanzaufsicht Bafin prüft, ob die Wirecard-Aktie mit kriminellen Methoden manipulativ auf Talfahrt geschickt wurde.

Prozess gegen Strippenzieher

Es ist nicht das erste Mal, dass es Zweifel an der Bilanzierungspraxis der Aschheimer gibt. Bewiesen worden ist nie etwas. Im Gegenteil sind entsprechende Vorwürfe aus dem Jahr 2016 von Münchner Staatsanwälten als illegale Versuche entlarvt worden, den Kurs von Wirecard zu manipulieren, um per Spekulationsgeschäften zu verdienen. Gegen den damaligen Strippenzieher wird ein Prozess vorbereitet.

Gegründet wurde Wirecard kurz vor der Jahrtausendwende ungefähr zum Höhepunkt der damaligen Internetblase. Kunden der ersten Stunde waren Pornoseiten und Online-Kasinos. Diese zwielichtige Branche war die erste, die den von Wirecard propagierten bargeldlosen Zahlungsverkehr schätzen gelernt hat. Das hat dem innovativen Fintech ein immer noch nachwirkendes Schmuddel-Image beschert.

Es bleiben Zweifel

Wenn Wirecard nun beteuert, man habe in der Buchhaltung nach allen bisherigen Prüfungen keinerlei Korrekturen oder Anpassungen vornehmen müssen, bleiben bei manchem zumindest so lange Zweifel, bis von externer Seite endgültig Entwarnung gegeben wird.

So sicher wie Analyst Robin Brass vom Bankhaus Hauck & Aufhäuser sind nur wenige Experten. „Das ist ein totales Non-Event“, sagt er. Wirecard verhalte sich völlig korrekt, betreibe Aufklärung. So sieht es auch Braun. In „sehr naher Zukunft“ werde der Abschlussbericht von Rajah & Tann vorliegen und dann publik gemacht, verspricht er. Gegen die „FT“ prüfe man rechtliche Schritte.