In dem Video „Mein Fenster“ (1979) von Zbigniew Rybczynski beginnen Kanarienvogel und TV-Sprecher zu kippen. Foto: ZKM

Filme und Videos bis zum Abwinken: Das Karlsruher ZKM zeigt die Ausstellung „100 Meisterwerke mit und durch Medien“ – und vergisst inmitten seiner gigantischen Technikschau das Publikum.

Karlsruhe - Zwischendurch darf man sogar aufs Rad steigen. Kurz in die Pedale getreten, schon saust man durch Manhattan oder Karlsruhe. Allerdings hat der Künstler Jeffrey Shaw bei seiner Installation „The Legible City“ die Gebäude der Städte durch Buchstaben ersetzt, sodass man mit seinem Heimtrainer durch riesige Wörter auf der Leinwand radelt und Sätze lesen kann, sofern einem bei der rasanten Kurverei nicht schwindlig oder gar speiübel wird.

Mit „Kunst in Bewegung“ befasst sich die neue Mammut-Ausstellung im ZKM Karlsruhe, in der man auch eine Straßenbahn virtuell durch Karlsruhe navigieren darf. „100 Meisterwerke mit und durch Medien“ versammelt interaktive Arbeiten, aber auch Filme und Videos sowie wundersame Apparate und Instrumente. Es ist sozusagen Kunst, die viel Technik benötigt. Bei Peter Vogels Objekt „Römischer Turm“ muss zumindest kein Hebel gedrückt und kein Pedal getreten werden. Sobald man an dem fragilen Konstrukt aus Drähten, Lichtsensoren und Elektronik vorbeihuscht, erklingt eine zarte Soundcollage, die allein durch die Schatten der Besucher. ausgelöst wird.

Der Direktor des ZKM, Peter Weibel, hat sich viel vorgenommen und zur Unterstützung den Medientheoretiker Siegfried Zielinski engagiert, den ehemaligen Rektor der Karlsruher Hochschule für Gestaltung. Man sieht der Schau an, dass hier in vielen Jahren erworbenes Wissenzusammengetragen wurde. Auch der Titel verrät, wie lange die beiden Kuratoren die Szene bereits verfolgen: „100 Meisterwerke“ spielt auf eine Fernsehsendung aus den achtziger Jahren an, in der bedeutende Kunstwerke vorgestellt wurden, vor allem Gemälde. Nun, fast vierzig Jahre später, will das ZKM den damals postulierten Kanon fortschreiben und um wichtige Medienkunstwerke ergänzen, die seinerzeit ignoriert wurden.

Die Menge an Hardware und technischem Equipment ist beeindruckend

Das Ergebnis umfasst nicht nur hundert Meisterwerke von Nam June Paik, John Cage oder Ulrike Rosenbach, sondern zusätzlich eine Überfülle an Arbeiten und Objekten, die von diesen Marksteinen beeinflusst wurden oder die ästhetischen Entwicklungen flankierten – darunter selbstverständlich auch wieder Videoarbeiten von Peter Weibel selbst, der sein künstlerisches Werk gern in die Ausstellungen des ZKM integriert.

Zum Auftakt der „100 Meisterwerke“ kann man zahlreiche altmodische Konstruktionen bestaunen, etwa den „Nullstrahler“ von Hermann Scherchen, eine silbern lackierte, mit Lautsprechern gespickte Sperrholzkugel von 1959, die bestens als Requisit von „Raumschiff Enterprise“ getaugt hätte. Man trifft aber auch Holzkästen mit Tasten und riesigen Lautsprechern. Hier ein Intonarumori, eine Art Geräuscherzeuger, dort ein Trautonium, den Vorläufer des Synthesizers. Das „Piano Opto-Phonique“ indes, das in den zwanziger Jahren im Moskauer Meyerhold-Theater zum Einsatz kam, war ein Klavier, mit dem man Bilder projizieren konnte.

Rund zweihundert Künstlerinnen und Künstler sind in der Karlsruher Schau vertreten; auf dreißig Würfelmonitoren plus vielen Dutzend Flachbildschirmen, in Videoinstallationen und Filmkojen flimmert vermutlich Material für Tausende von Stunden. Allein die Menge an Hardware und technischem Equipment, mit dem das ZKM hier aufwartet, ist beeindruckend. Wer mag, kann sich mal wieder den surrealistischen Filmklassiker „Un Chien Andalou“ von Luis Buñuel und Salvador Dalí anschauen oder aber die rätselhaften Episoden, die der Theatermagier Robert Wilson in seinem „Video 50“ essayistisch zusammenfasste. Auch „Think“ ist zu sehen, eine Art multimediale Diashow, mit der Charles Eames und Ray Eames bei der Weltausstellung 1964 in New York den IBM-Pavillon bespielten.

Die Kuratoren wissen viel – aber offensichtlich nicht, wie man gute Ausstellungen macht

Es gäbe vieles zu erwähnen, etwa „Beton-TV-Paris“, einen funktionierenden Fernseher, den Wolf Vostell 1974 in Beton eingoss. Es gibt Themenschwerpunkte rund um die Zeitung oder zum Zusammenspiel von Hören und Sehen. Amüsant ist auch das Video „Mein Fenster“ (1997) von Zbigniew Rybczynski, der ein Stillleben mit Fernsehgerät, Flasche und Kanarienvogel zeigt. Aber während der Nachrichtensprecher über Politik und Unglücke spricht, wandert nicht nur sein Kopf durch den Fernseher, auch der Kanarienvogel dreht sich langsam im Uhrzeigersinn um seine Stange, und sogar die Flüssigkeit in der stehenden Flasche schwappt – und hängt schließlich kopfüber. Beim Nachbau des Radio-Empfängers von Häftlingen des KZ Buchenwalds, einem Pappeimer mit Glas und Kunststoff, wüsste man allerdings gern mehr über die Entstehung des Geräts. Vielleicht wird der Audioguide, der noch entstehen soll, Hintergründe verraten.

So schleicht sich trotz vieler durchaus spannender Positionen beim Rundgang doch Unbehagen ein. Dass das Publikum bei der Konzeption von Ausstellungen keine Rolle spielt und sich Kuratoren nicht fragen, wie Rezeption funktioniert, ist in vielen Museen leider immer noch traurige Praxis. Im Karlsruher ZKM aber wird man auch den Werken selbst nicht gerecht. Sie werden letztlich wie Trophäen präsentiert, die in dieser kraftmeierischen Leistungsschau allein die kuratorischen Ideen und das eigene Know-How illustrieren sollen. Hier waren zwei ausgewiesene Kenner am Werk, die sicherlich sehr viel wissen, aber offensichtlich nicht, wie man eine gute Ausstellung macht.

Ausstellung bis 10. Februar 2019, geöffnet Mittwoch bis Freitag 10 bis 18, Samstag 14 bis 18, Sonntag 11 bis 18 Uhr