Umweltschützer finden klare Worte für die Liebe der Deutschen zum Auto. Stuttgarter Richter lassen es an Deutlichkeit ebenfalls nicht fehlen. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Ohrfeige für die Landesregierung: das Stuttgarter Verwaltungsgericht hält alle Bemühungen, den Schadstoffausstoß zu verringern, für nicht ausreichend. Jetzt ist Grün-Schwarz in Zugzwang.

Stuttgart - Die grün-schwarze Landesregierung hatte sich eigentlich schon für die Dieselnachrüstung statt Fahrverboten im Jahr 2018 entschieden. Jetzt aber muss die Politik baldige Verkehrsverbote in Stuttgart für besonders schadstoffträchtige Autos wieder ernsthaft angehen – oder auf einem langen Rechtsweg zu verhindern versuchen. Der Grund: Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat am Freitag der Deutschen Umwelthilfe (DUH) in ihrer Klage auf Fahrverbote Recht gegeben.

Das Land müsse im Luftreinhalteplan Stuttgart Maßnahmen vorsehen, die die schnellstmögliche Einhaltung der stellenweise um bis zu 100 Prozent überschrittenen Stickstoffdioxid-Grenzwerte möglich machen, urteilte die 13. Kammer unter dem Vorsitz von Wolfgang Kern. Sie hält weder einen zeitlichen Aufschub bis 2020 für zulässig, noch weniger wirksame Teillösungen – und auch nicht den Verzicht auf Fahrverbote zu Gunsten der Nachrüstlösung.

Gesundheit hat Vorrang

Die Richter urteilten klipp und klar: Der Schutz der Rechtsgüter Leben und Gesundheit für die von den überhöhten Schadstoffkonzentrationen betroffenen Einwohner rangiere über dem Schutz der Rechtsgüter Eigentum und allgemeine Handlungsfreiheit von betroffenen Autoeigentümern. Wenn es aber 2018 losgehen muss, sei es „die effektivste und derzeit einzig mögliche Maßnahme“, in der kompletten Umweltzone Stuttgart und damit im ganzen Stadtgebiet bestimmte Autos zu stoppen: Diesel unterhalb der Schadstoffnorm Euro 6 sowie Autos mit Benzin- und Gasmotoren unterhalb von Euro 3.

Weil diese Differenzierung mit der Grünen Plakette nicht möglich ist und der Bund nicht mithelfe, mit einer Blauen Plakette den Vollzug von geltendem Recht zu unterstützen, müsse das Land selbst handeln. Etwa so, dass man unter dem Umweltzonen-Schild mit einem Schild freie Fahrt für umweltfreundliche Autos gewährt. Die Straßenverkehrsordnung erlaube es.

Schlechte Noten für die Regierung

Die schriftliche Urteilsbegründung steht noch aus, aber schon bei der mündlichen Begründung fand Richter Kern deutliche Worte. Das Regierungspräsidium als Planbehörde habe nicht im gebotenen Umfang Maßnahmen für die Einhaltung der Grenzwerte benannt, dabei werde die zulässige Immission seit 2010 überschritten. Noch einmal zweieinhalb Jahre zu warten, „würde in ganz erheblichem Maß gegen gesetzliche Pflichten verstoßen“. Von den im Planentwurf aufgezeigten und vom Land selbst wieder verworfenen Varianten der Verkehrsverbote – eine stadtweite und ganzjährige Blaue-Plakette-Lösung ab 2020 sowie räumlich eingeschränkte Verbote an kritischen Tagen – wäre keine zur schnellstmöglichen Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften geeignet. Weitere Überlegungen wie Nahverkehrsabgabe, Citymaut oder wechselnde Fahrverbote je nach Kennzeichen befand das Gericht nicht für relevant. Selbst in der Summe reduziere das die Schadstoffe nur um 15 Prozent.

Durchgefallen ist bei Gericht die von Ministerpräsident Kretschmann (Grüne) und der Autoindustrie beförderte Strategie, mit Dieselnachrüstungen alle Verkehrsverbote zu vermeiden. Diese Lösung sei nicht verbindlich, rechtlich auch nicht gleichwertig, die Planbehörde nicht befugt, sich dafür zu entscheiden. Selbst der größtmögliche Nachrüsterfolg wäre zu wenig.

Umweltschützer jubeln im Gerichtssaal

Verworfen haben die Richter auch das Kalkül des Landes, eine ständige Blaue-Plakette-Lösung erst etwa 2020 einzuführen, wenn nur noch 20 Prozent der Autos betroffen wären. Das sei eine Eingrenzung „ohne sachlichen Grund“. Die Einführung im Jahr 2018 wäre „unter keinem denkbaren Gesichtspunkt unverhältnismäßig“. Etwaige Ausweichverkehre jenseits der Stadtgrenze sprächen auch nicht dagegen. Dann müsste man die Regelung eben darauf erweitern.

Dieses Urteil wurde im Sitzungssaal an der Augustenstraße von Umweltschützern umgehend beklatscht. Auch DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch war hoch zufrieden, wenngleich das Gericht keine Fahrverbote für Euro-6-Diesel unterstützte, wie von der DUH gewünscht. Ein weiteres Gericht habe jedenfalls klargemacht, meinte Resch, „dass die Vergiftung der Luft nicht mehr zulässig ist“. In Stuttgart und anderswo müssten damit 2018 Dieselfahrverbote kommen. Die Politik müsse diese Botschaft annehmen und sich „aus dem Würgegriff der Autoindustrie befreien“, sagte Resch auch im Hinblick auf den „Autogipfel“ am 2. August in Berlin. Dort müssten die Umweltverbände mit an den Tisch. Man müsse dafür sorgen, dass es bei der Nachrüstung nicht wieder zu Schummellösungen komme. Wenn man schnell arbeite, könne man „die Mobilität in Stuttgart erhalten“.

Wie es nach dem Urteil weitergeht, ist allerdings offen. Die 13. Kammer hat sowohl Berufung wie auch die sogenannte Sprungrevision zugelassen – eine schnellere Entscheidung, vielleicht schon 2018, beim Bundesverwaltungsgericht. Zum Beispiel darüber, ob die Straßenverkehrsordnung dem Land wirklich eine Handhabe bietet. Rasche Klärung, meinte Richter Kern, läge im allgemeinen Interesse. Die DUH ist mit der Sprungrevision einverstanden. Das Landesverkehrsministerium will das „sehr komplexe Urteil“ erst sorgfältig prüfen.