Beim TV-Star Oprah Winfrey fühlen sich die Fans geborgen und verstanden. Daraus erwachsen Macht und Einfluss. Foto: dpa Foto:  

Vom Arme-Leute-Kind zur Milliardärin: Dem TV-Star Oprah Winfrey scheint alles zu gelingen. Nach ihrer Rede bei den Golden Globes wollen Fans und einige Politiker, dass sie bei den nächsten Präsidentschaftswahlen gegen Donald Trump antritt. Man sollte den Gedanken nicht für absurd halten.

Washington - Innerhalb weniger Stunden wurde eine fanfiebrige Schnapsidee aus der Twitter-Welt zur politischen Debatte innerhalb der demokratischen Partei der USA: Ist die afroamerikanische Ex-Showmasterin Oprah Winfrey als Präsidentschaftskandidatin denkbar, die Donald Trump das Weiße Haus abnehmen könnte? Winfrey hatte gerade bei der Verleihung der Golden Globes eine kämpferische, sentimentale, keineswegs von neuen Gedanken durchsetzte Rede gehalten: Sexuelle Gewalt und alltägliche Belästigung müssten ein Ende haben, forderte sie. Wie so oft, wenn Oprah Winfrey etwas ganz Selbstverständliches sagt, war die Reaktion enorm: Oprah redet nicht einfach, sie setzt Themen auf Platz eins der Tagesordnung der USA wie sonst nur der Präsident.

Dass eine Medienunternehmerin ohne politische Insiderkenntnisse und Seilschaften Chancen aufs höchste Amt der westlichen Führungsmacht haben könnte, diese Idee darf einem nicht absurd vorkommen. Donald Trumps Startvoraussetzungen waren schlechter. Aber das rundum Phänomenale der TV-Talkerin lässt einen Wahlsieg umso möglicher erscheinen. Die deutsche Medienwelt hat keine vergleichbar charismatische Figur zu bieten. Oprah Winfrey ist nicht bloß ungemein bekannt und beliebt. Sie ist das moralische Über-Ich der liberalen und auch der liberal-konservativen USA, besonders beliebt bei Frauen und Afroamerikanern, die sympathische Fleischwerdung von Aufstiegsträumen und Erfolgsidealen, eine virtuose und charmante Spielerin der Multimedia-Orgel – vierhändig und im Alleingang.

Das Über-Ich der Liberalen

Egal, wie einflussreich und reichweitenstark die 1954 im Südstaatenkaff Kosciusko, Mississippi Geborene wurde, sie erschien ihren Fans nie als entrückte Medienmogulin oder egomanische Meinungstyrannin. Sie stieß als erste schwarze US-Amerikanerin in den Club der Milliardäre vor, aber für Millionen Fernsehzuschauer war sie die Frau von nebenan, die täglich auf der Studiocouch über die schlimmen Schicksal anderer weinen, über deren Erfolge strahlen oder vor Wut über Ungerechtigkeiten zittern konnte. Sie bändigte das zynische TV-Monster zum Instrument von Nachbarschaftshilfe, Kaffeeklatsch und Selbstoptimierung.

Die sich durch die sozialen Netzwerke fortpflanzende Idee, man könne Oprah – wie bei Königinnen scheint ihr Vorname, nicht ihr Nachname die respektvollste Form der Benennung – zur Politkarriere auffordern, gab vielen Amerikanern wohl das Gefühl: Au ja, meine böse Freundin soll Präsidentin werden.

Karriere ohne Bremse

Oprah wuchs bettelarm auf, hat in ihrer Kindheit Gewalt und Missbrauch erfahren. Aber mit siebzehn hat sie bereits als Nachwuchsreporterin für eine Radiostation in Nashville gearbeitet, mit neunzehn ist sie Studiomoderatorin. Ihren ersten TV-Job bekommt sie mit vierundzwanzig in Baltimore, zwei Jahre später ihre eigene Talkshow. 1984 wechselt sie nach Chicago, 1986 wird die „Oprah Winfrey Show“ im ganzen Land ausgestrahlt. Es gibt nun keine Bremse mehr in dieser Karriere, keine Schlaglöcher und keine Skandale. Als Oprah sich beispielsweise entschließt, Bücher vorzustellen, wird „Oprahs Book Club“ zum mächtigsten Lenkungsinstrument des amerikanischen Buchmarktes. Und so nah an den Bedürfnissen und Freuden der Mehrheit die stets instinktsichere Oprah bleibt, so wenig ist sie zu herablassender Dauerverköstigung mit Brei und Süßigkeiten bereit. Sie empfiehlt auch komplexere Literatur, holt etwa die Autorin Toni Morrison aus der Hochkulturecke in den Mainstream-Markt. Wenn Oprah etwas empfiehlt, spüren ihre Zuschauerinnen offenbar keine anmaßende Überforderung. Sie freuen sich, dass ihnen endlich jemand mehr zutraut als alle anderen sonst.

Jetzt schon wieder auf jemanden mit der unheimlichen Macht zur Massenbezirzung zu setzen, warnten einige Demokraten sofort nach den ersten „Oprah ins Weiße Haus“-Rufen, sei ganz falsch. Aber auch David Axelrod, vormals Chefstratege Barrack Obamas und selbst jemand, der einen Profipolitiker als Spitzenkandidaten möchte, gesteht ein: „Sie hat eine übernatürliche Fähigkeit, machtvoll und authentisch zu den Menschen zu sprechen.“