Etwa 1200 Quadratmeter Fläche beansprucht das Kreisimpfzentrum in der Sindelfinger Messehalle. Foto: Simon Granville

Das Kreisimpfzentrum in Sindelfingen ist komplett, aber der Impfstoff fehlt. Der Landrat Roland Bernhard wirbt um Geduld.

Böblingen - Obwohl das Impfzentrum fix und fertig dasteht, gibt es zur Zeit noch so wenig Impfstoff, dass es sich kaum lohnt, das Zentrum zum vorgesehenen Zeitpunkt am 21. Januar zu öffnen.“ Das war die Kernaussage des Böblinger Landrats Roland Bernhard bei der Pressekonferenz am Freitag in der Sindelfinger Messe, dem Standort des Kreisimpfzentrums.

Eigentlich war die Pressekonferenz anberaumt, um nicht nur das neue Zentrum vorzustellen, sondern auch, um für die unpopuläre Idee werben, das Zentrum später zu öffnen. Entschieden sei allerdings noch nicht über diesen Vorschlag. Zumal auch der öffentliche Druck größer wird. Denn immer mehr Über-Achtzigjährige fordern die Impfung von den Behörden ein, weil sie bei den Hotlines nicht durchkommen. Ein Senior aus Grafenau schreibt: „Nach drei vergeblichen Anrufen lässt meine Impfbereitschaft deutlich nach. Jetzt lasse ich den lieben Gott entscheiden, ob er mich mit bald 89 Jahren vorzeitig empfangen möchte.“

Riesige Bereitschaft zu helfen

Immerhin, an den Behörden vor Ort liegt es nicht. Dass das Impfzentrum in der Messehalle in Sindelfingen fix und fertig dasteht, ist eine logistische Meisterleistung der lokalen Akteure und der freiwilligen Helfer, insbesondere des Organisationsteams im Landratsamt unter der Leitung von Wiebke Höfer, dem Kreisbrandmeister Guido Plischek und Annette Theewen, der Pandemiebeauftragen des Landkreises Böblingen. Gäbe es genug Impfstoff, hätte das Zentrum sogar schon am 15. Januar öffnen können, wie das ursprünglich geplant war. Ein Glücksfall für den Kreis Böblingen war es, dass mit der Messehalle Sindelfingen nicht nur ein Raum von ausreichender Größe und einer hervorragenden Infrastruktur vorhanden ist, sondern mit deren Chef Ralph-Michael Hohenstein auch ein erfahrener Messebauer vor Ort ist. Für dessen Mitarbeiter war es ein Kinderspiel, die Raumteiler, Lampen, Strom- und Netzkabel in ihre eigene Halle einzubauen. Darüber hinaus gab es eine riesige Bereitschaft zu helfen. 300 Ärzte haben sich dazu bereit erklärt, 150 Pfleger und 20 freiwillige Helfer. Gerade bei den freiwilligen Helfern war der Andrang enorm, es hatten sich fast 400 gemeldet.

Der Landrat sieht Böblingen ungerecht behandelt

Vom Land sieht sich der Landrat ungerecht behandelt. Er verweist auf die Kreise Ludwigsburg und Esslingen, die mit mehr als einer halben Millionen Einwohner ein Recht auf zwei Impfzentren haben. Was bedeutet, dass sie auch doppelt so viel Impfstoff bekommen. Doch ein zweites Impfzentrum würde der Landkreis Böblingen bei seiner hohen Bevölkerungsanzahl von 400 000 Menschen eben auch bitter benötigen. In der Anfangsphase, so rechnet der Landrat vor, bekomme der Kreis 975 Impfdosen pro Woche, weil man ja zwei Impfungen brauche, könnten damit nur 487 Menschen geimpft werden.

Im Landkreis leben aber 25 000 Menschen, die über achtzig sind. Wenn nicht mehr Impfstoff herankommt, dann würde es ein ganzes Jahr dauern, bis alle hochbetagten Senioren versorgt sind. Dazu kommt auch noch das Pflegepersonal mit etwa 3000 Menschen, außerdem etwa 600 Pfleger in den Krankenhäusern, die direkt mit Covid-Patienten arbeiten.

Weil ein großer Teil des Impfstoffs zuerst an die mobilen Einsatzkräfte für die Pflegeheime geht, könnte das Impfzentrum zur Zeit nur 150 bis 180 Patienten pro Woche versorgen. Ausgelegt ist es aber für rund 800 Patienten pro Tag und für rund 5000 Patienten pro Woche. Dieses einfache Rechenexempel ist auch der Grund, warum der Landrat mit der Öffnung noch warten will, bis mehr Impfstoff da ist.

Irgendwann sind die Hausärzte am Zug

Ralph-Michael Hohenstein, der Chef der Messe, sagt, was viele im Organisationsteam denken: Anstatt sich zu beklagen, dass es zum jetzigen Zeitpunkt noch wenig Impfstoff gibt, wäre es richtiger, sich darüber zu freuen, dass es überhaupt eine Firma geschafft hat, einen Impfstoff in so kurzer Zeit zu entwickelten. „Denn ohne diese Entwicklung würden wir alle nicht hier stehen.“ Die Pandemiebeauftragte des Kreises, die Ärztin Annette Theewen, ist sicher, dass man in späteren Zeiten auch das Impfzentrum nicht mehr brauchen wird. Die Hausärzte in Deutschland würden es schaffen, jedes Jahr Millionen Grippe-Impfungen innerhalb von sechs Wochen vorzunehmen. Es muss nur genug Impfstoff da sein.