Christian Ehring bestätigt, Shahak Shapira verstört, Uli Keuler versöhnt – bei der Eröffnung des 26. Stuttgarter Kabarettfestivals im Theaterhaus gab es nebst Applaus auch Pfiffe.
Stuttgart - Sie kennen’s: Man könnte sich über eine Begebenheit kaputtlachen, die Nebenfrau oder der Nebenmann schaut aber nur müde bis entsetzt drein. Komik kennt viele Formen, nicht jede sagt jedem zu. So auch im Kabarett: Da scherzen gravitätische Altvordere, wilde Junge, gewiefte TV-Satiriker, virtuose Musikkabarettisten und mittlerweile auch die Provokateure aus den sozialen Netzwerken. Der Erzeugergemeinschaft aus Renitenztheater, Laboratorium, Rosenau, Merlin und Theaterhaus ist es am Eröffnungsabend des 26. Stuttgarter Kabarettfestivals gelungen, mit fünf verschiedenen Auftritten all diese Strömungen abzubilden.
Bis 22. April treten im Rahmen des Festivals auf den genannten Bühnen krittelnde Komödianten auf. Den Auftakt im Theaterhaus übernahm Martin Frank. Im vergangenen Jahr hat er den goldenen Stuttgarter Besen gewonnen. An diesem Dienstag kämpfen im Renitenztheater acht Künstler um die Nachfolgerschaft. Frank kommt noch immer gut an in der Stadt. Mit seinen Witzen über das Zivilisationsgefälle zwischen Großstadtleben und Alltag auf dem Lande trifft er den Nerv vieler Stuttgarter – wer etwa täglich mit der U7 aus Sillenbuch zur Arbeit in die Innenstadt fährt, erlebt die Diskrepanz ja regelmäßig am eigenen Leib. Auch Franks längst bekannte „Hendl-Arie“ für ein totes Huhn bekommt lauten Applaus.
Shapira geißelt Deutschland und den Vatikan
Stiller wird es, als hernach der durch seinen unermüdlichen Gerechtigkeitskampf auf Twitter und Facebook zu Ruhm gekommene Shahak Shapira an der Reihe ist. Nicht nur, weil man vorab von seinem familiären Hintergrund erfuhr: Ein Großvater des gebürtigen Israelis war der einzige Holocaust-Überlebende seiner Familie mütterlicherseits, der andere starb beim Terroranschlag auf die Olympischen Spiele 1972.
Shapira selbst, der als Teenager mit seiner Mutter aus Israel ausgerechnet in die sachsen-anhaltinische NPD-Hochburg Laucha an der Unstrut zog, ließ sich vom Schicksal allerdings noch nie unterkriegen. Und spottet bei seinem Auftritt jeglichen Irrationalismen: Nationalismus, Antisemitismus, Religion. „Ich liebe Deutschland nicht, ich mag es nicht mal, ich toleriere es“, erklärt er, nachdem er von seiner drei Wochen jungen deutschen Staatsbürgerschaft berichtet hat. „Es gibt aber ein kleines Land, den Vatikan, das liebt dich – wenn du unter 14 Jahre alt und nackt bist.“
Witze über Storch und Putin
Derlei Zynismus ist zu viel für große Teile des wie immer etwas reiferen Publikums, die das Klatschen und Lachen früh einstellen. Es ist eben nicht der Splitter im fremden, sondern der Balken im eigenen Auge, den Shapira zieht. Und das tut weh. Am Ende kassiert der 30-Jährige gar einen Buh-Ruf und zwei Pfiffe. So klingt es, wenn das moralische Überlegenheitsgefühl mancher Kabarett- oder Kirchengänger ernsthaft auf die Probe gestellt wird. Immerhin: Mit dem Klischee von sich gegenseitig affirmierenden Kabarettisten und Zuhörern hat Shapira damit wohl aufgeräumt. So gesehen war es der stärkste, mutigste Auftritt, der aber – wie zu erwarten war – mit Abstand am schlechtesten ankam. Chapeau für so viel Chuzpe.
Glücklicherweise zählt Extra3-Moderator Christian Ehring daraufhin zur Beruhigung die altbekannten Feindbilder auf, während er durch die Freitagsausgabe der „Stuttgarter Nachrichten“ blättert: „Beatrix von Storch – vielleicht versorgt blaues Blut das Gehirn wirklich mit weniger Sauerstoff.“ Für den russischen Präsidenten gibt’s ein Ständchen am Klavier: „Angelt Putin einen Barsch, sagt selbst der Barsch: Du bist ‘n – Supertyp!“
Ein Medley aus Nationalhymne und „Atemlos“
Spätestens nach der Pause ist der Saal dank Lokalmatador Uli Keuler wieder besänftigt. Der Schwabe, der seit 1973 auf den Brettern steht, persifliert unter anderem sich übermäßig sorgende Eltern: „Wir haben keinen Kontakt mehr zu unserem Sohn! Schon seit sechs Stunden! Und er ist doch erst 19!“ Auch die Erzählung von seinem lieben, fehlerfreien, perfekt erzogenen Foxterrier Timmy findet Anklang. Eine Metzgerin muss selbigen angeblich lediglich hinter der Wursttheke hervorvorziehen, weil er sich beim Studieren der Preisschilder in einer Salami verheddert hat.
Den heiteren Schlusspunkt des Abends setzt das britische Musik-Comedy-Duo Carrington-Brown. Die witzige deutschsprachige Show der Cellistin Rebecca Carrington und ihres Ehemannes Colin Brown, der mal eben wie Louis Armstrong röhren und ein Medley aus der deutschen Nationalhymne und Helene Fischers „Atemlos“ auf dem Dudelsack spielen kann, ist bald wieder zu erleben: Am 4. Mai gastieren die beiden im Renitenztheater.
Sollte das restliche Festival so verlaufen wie dieser irisierende Auftakt, darf man den Organisatoren gratulieren. Vom nach wie vor herrschenden Frauenmangel abgesehen, kam die Szene an diesem Abend so facettenreich wie lange nicht mehr daher.
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