Große Glücksgefühle strahlt Reiner Hoffmann nach seiner Wiederwahl nicht aus. Foto: dpa

Vehement hat sich der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, Anfang des Jahres für eine Beteiligung der SPD an der großen Koalition ausgesprochen. Dafür wird er bei der Wiederwahl auf dem DGB-Kongress in Berlin vom linken Flügel abgestraft.

Berlin - Tapfer schwenkt er den obligatorischen Blumenstrauß, doch Reiner Hoffmann ist sichtlich geknickt. 76,3 Prozent sind ein unerwarteter Rückschlag für den Vorsitzenden des Gewerkschaftsbundes (DGB) zu Beginn seiner zweiten und letzten Amtszeit. Emotionslos bedankt sich der bald 63-Jährige für die Wiederwahl beim Bundeskongress. Seine Stellvertreterin Elke Hannack holt mit 86,5 Prozent die meisten Stimmen – nie zuvor in der DGB-Geschichte war ein CDU-Vertreter im Vorstand so beliebt. Auch die beiden anderen Mitglieder des Führungsquartetts, Annelie Buntenbach (81,2 Prozent) und Stefan Körzell (83,6 Prozent), stehen besser da als der Vorsitzende.

Ein verärgerter IG-Metall-Anführer bedenkt die Urheber des Dämpfers mit einem Kraftausdruck – man möge es bitte nicht zitieren. Die Quittung sei völlig unnötig gewesen, fügt er an, denn Hoffmann hätte eine gute Arbeit gemacht. In der Tat hat dieser die viele Jahre zerstrittenen Gewerkschaften zu einer nie erlebten Geschlossenheit geführt. Streit beispielsweise um das Vertretungsrecht in den Betrieben wird kaum noch offen ausgetragen.

Für einen Vorstandsbeschluss den Kopf hingehalten

Politisch sind die DGB-Töchter nicht zusammengewachsen: Etliche Delegierte nennen Hoffmanns vehementes Eintreten für die große Koalition als Grund des mageren Resultats. Dabei hatte er lediglich einen einstimmigen Pro-Groko-Beschluss des Bundesvorstands vertreten – weshalb schon am Vortag beklagt wurde, dass kein Gewerkschaftsführer in der allgemeinen Aussprache dem DGB-Vorsitzenden zur Seite gestanden hat. Auch dass Hoffmann Juso-Chef Kevin Kühnert kritisiert und Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron gelobt hat, wird ihm angekreidet. Mangels inhaltlicher Kontroversen hätten linke Ideologen ihren Unmut am Vorsitzenden ausgelassen, urteilt ein Intimkenner des DGB. Woher die Gegenstimmen hauptsächlich kamen, lässt sich nur vermuten: vom linken Verdi-Flügel etwa.

Hoffmanns Inthronisierung vor vier Jahren hatten noch gut 93 Prozent der Delegierten befürwortet. „Das war ein Spitzenergebnis“, sagt der Vorsitzende später am Rande des Kongresses, nun wieder gut gelaunt. Die heutige Drei-Viertel-Mehrheit nennt er eine „gute Grundlage, die Arbeit fortzusetzen“. Es gebe nun mal ganz unterschiedliche Positionierungen bei den Mitgliedern. „Viele haben Fragezeichen daran gemacht, ob es gut war, dass wir uns ganz klar in Richtung große Koalition ausgesprochen haben“, sagt er Sozialdemokrat. Er könne das nachvollziehen und finde es richtig. „Stolz“ sei er auf die Vielfalt im DGB. „Das zeigt, dass wir ein lebendiger Gewerkschaftsbund sind.“

DGB in der Legitimationskrise

Neben der unerwarteten Personaldebatte hat der DGB ein strukturelles Problem: Äußerungen einiger Funktionäre zufolge steckt er in der Legitimationskrise. Für IG Metall und Verdi ist der Dachverband eher ein Feigenblatt, sie betreiben ihre eigene Sozialpolitik. Allenfalls die kleineren der acht Gewerkschaften sind auf den DGB als politischen Arm angewiesen. Doch mangelt es diesem an übergreifenden Strategien für ein wirkungsvolles Vorgehen gegen die Umbrüche in der Arbeitswelt. Die Ressourcen würden nicht effektiv genug kanalisiert, wird in der IG Metall kritisiert. Die oft abgehobenen Beschlüsse auf dem DGB-Kongress lassen nicht unbedingt konkrete Konzepte erwarten. „Wir haben auf die Veränderungen noch keine abschließenden Antworten, wollen sie aber erarbeiten“, sagt Reiner Hoffmann. Zunächst müsse untereinander geklärt werden, wie der Zukunftsdialog aussehen soll. Zuweilen ist die Ratlosigkeit nicht zu verkennen bei diesem Kongress.

Erstmals weniger als sechs Millionen Mitglieder

Zudem hatte der DGB Ende 2017 erstmals weniger als sechs Millionen Mitglieder (genau 5,995 Millionen), obwohl die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung seit Jahren wächst. Die Überalterung lässt sich durch Organisationserfolge einzelner Gewerkschaften nicht ausgleichen. Hoffmann nennt Befristungen und Niedriglöhne schlechte Voraussetzungen, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Zudem müssten junge Menschen in der Hochschulausbildung verstärkt angesprochen werden. „Da haben wir Schwächen und müssen uns besser aufstellen.“

Gleichwohl würde der Gewerkschaftsbund täglich im Schnitt noch 850 Menschen an sich binden. „Bei dem, was vor uns liegt, werden handlungsmächtige Gewerkschaften als starke demokratische Akteure gebraucht – deshalb ist es so wichtig, dass wir unseren Organisationsgrad wieder deutlich erhöhen.“