Gerhard und Karin Siegel haben sich eine kleine Oase auf dem Dach der Garage geschaffen. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Stuttgart von oben, von seinen Dachterrassen und Dachgärten aus gesehen. Das ist das Thema unserer Sommerserie „Über den Dächern der Stadt“. Wir geben Einblicke in öffentliche und private Dachterrassen. Zum Beispiel in den privaten Rückzugsort der Familie Siegel in Zuffenhausen.

Stuttgart - Wer sagt denn, dass ein Dachgarten immer weit oben liegen muss, wie ein Adlerhorst? Kommt doch ganz darauf an, wie hoch ein Haus und damit auch das Dach ist. Bei Gerhard und Karin Siegel in Zuffenhausen muss man nur ein paar Treppenstufen steigen, um mitten in einem grünen Paradies zu landen. Man steht auf dem Dach der tiefer gelegten Garage, das höhenmäßig zwischen Erdgeschoss und erstem Stock des angrenzenden Wohnhauses liegt.

Mindestens zehn Meter hoch ragt der Thuja in den Himmel und macht auf den ersten Blick neugierig auf die weitere gärtnerische Gestaltung. Aber noch ehe unsere Erwartung erfüllt wird, zeigt Gerhard Siegel Fotos: „Schauen Sie“, sagt er, „wie es hier früher ausgesehen hat.“ Wir staunen: Im Hof stand ein dunkler Lagerschuppen, schwarz von Kohlenstaub und Ruß. Die Siegels betreiben eine Brennstoffhandlung, die anno 1899 schon der Großvater Christof Siegel übernommen hatte und die im 117. Jahr ihres Bestehens und in der vierten Generation neben Holz und Heizöl auch immer noch Kohlen liefert. Als sich die Wohnungen in der benachbarten eigenen Immobilie wegen des unvermeidlichen Kohlenstaubs kaum mehr vermieten ließen und obendrein ein neues Lager am Bahnhof Zuffenhausen zur Verfügung stand, beschlossen Siegels in den 80er Jahren: Hier muss sich etwas ändern. Und sie wussten schon genau, wie es werden sollte.

Die Metamorphose ist wunderbar gelungen. So schön ist das Ergebnis, dass die stolzen Besitzer für ihr „Dach im Hinterhof“ sogar ausgezeichnet wurden. Denn die Stadt hatte damals den Wettbewerb „Wohnen in der Stadt, leben im Grünen“ ausgelobt – mit der Absicht, dass aus den oft mit Gewerbe belegten Hinterhöfen lebenswerte grüne Oasen werden. Und mit der Aussicht auf Zuschüsse für private Initiativen. Damit halbierte sich für Siegels die Investition von 40 000 Mark allein für den Garten. Dass er dann noch als eine der schönsten Anlagen mit 500 Mark prämiert wurde, machte das Glück komplett und versöhnte mit vorausgegangener Unbill.

Vor der Einweihung protestierten die Nachbarn

Denn was Siegels vorher mit ihrem Bauantrag im Rathaus erlebt hatten, klingt nicht sehr bürgerfreundlich: „Ein Kampf mit der Bürokratie“, stöhnt Gerhard Siegel. „Das Stadtplanungsamt war begeistert, das Baurechtsamt lehnte den Antrag ab. Einmal sollte das Grundstück für die Tiefgarage noch tiefer ausgebaggert werden, das andere Mal sollte der Garten nur mit dem Schild „Betreten verboten“ genehmigt werden. Doch das Ehepaar blieb hartnäckig und hat schließlich seinen Antrag „mit Hängen und Würgen durchgesetzt“. Der damalige Baubürgermeister Hansmartin Bruckmann habe, als er die Geschichte bei der Preisverleihung erzählt bekam, nur den Kopf geschüttelt. Bei der Einweihung 1986 seien sogar die Nachbarn besänftigt gewesen, die vorher protestiert hatten: weil man aus dem Dachgarten dann in ihren Garten schauen könnte. Und weil die Siegels, Gott behüte, vielleicht nackig in der Sonne lägen. „Was die Leut‘ so schwätzet“, könnte sich Karin Siegel (71) heute noch aufregen. Letztlich habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass diese 300 Quadratmeter gepflegten Grüns eine Wertsteigerung auch für die Nachbarschaft darstellen. „Das ist wichtig für den Schwaben“, lacht Gerhard Siegel.

30 Jahre sind seither vergangen. Nicht nur der Thuja-Baum, der als winziges Bäumchen zur Einweihung geschenkt worden war, ist in den Himmel gewachsen. Die Tanne daneben schwächelt zwar etwas, auch der Apfelbaum wird wohl leider eingehen, weil das Erdreich auf dem Dach nur 40 Zentimeter hoch ist und schnell austrocknet. Im letzten heißen Sommer sei er oft schon um 4 Uhr früh aufgestanden, um eine Stunde lang zu gießen, erzählt Gerhard Siegel.

Ja, so ein Stückle macht viel Geschäft. Dafür sei der Kirschbaum zur Blüte eine schneeweiße Wolke, der Flieder ein duftender Traum und die Rosenpracht im hohen Sommer ein Gedicht. Selbst im Winter blüht es in der Hecke aus Winterjasmin. Dann trägt der Efeu an der angrenzenden Hauswand Früchte und ist ein regelrechtes Schlaraffenland für die Vögel. Gerade leuchten die Zwetschgen blau aus dem Baum, die Weinreben am Zaun tragen reichlich Trauben – „nur zum Naschen, nicht fürs Keltern“. Die Johannisbeersträucher sichern den Träubleskuchen.

Idyllische Heimat für Hund und Katze aus dem Tierheim

Der Sandkasten, der vor 30 Jahren für die Söhne Markus und Thomas installiert worden war, ist schon lange durch einen Teich ersetzt, in dem an die 50 Goldfische schwimmen. Die schöne Tigerkatze Samy hat zum Glück keinerlei Gelüste auf Fisch und lebt in friedlicher Koexistenz mit Zarina, dem freundlichen schwarzen Hund.

„Wir haben beide aus dem Tierheim geholt“, verrät das Ehepaar, das sich sogar über einem Gartenzaun kennen und lieben gelernt hat. Die Stückle der Eltern auf der Krailenshalde grenzten aneinander.

Kein Wunder, dass dieser Dachgarten für sie eine Herzensangelegenheit ist, die Hochgefühle schenkt. Auch wenn er gar nicht so hoch liegt.