Student Markus Runtze auf der Dachterrasse des Max-Kade-Wohnheims Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Stuttgart von oben, von seinen Dachterrassen und Dachgärten aus gesehen. Das ist das Thema unserer Sommerserie „Über den Dächern der Stadt“. Wir geben Einblicke in öffentliche und private Dachterrassen – und halten Ausblick. Zum Beispiel vom Dach des Max-Kade-Studentenwohnheims.

Stuttgart - An einem schönen Sommerabend kann es durchaus vorkommen, dass die Bewohner des Max-Kade-Wohnheims an der Holzgartenstraße vier oder fünf Planschbecken auf der Dachterrasse des 16-stöckigen Gebäudes platzieren, um in luftiger Höhe, umspült von kühlem Nass, die Seele baumeln und den Lernstoff sacken zu lassen. Auch gegrillt werde hier gerne spontan, weiß Markus Runtze (23). Der Student der Luft- und Raumfahrttechnik gehört zum Vorstand der geschichtsträchtigen Einrichtung, die 1953 bezugsfertig war. Damals war das von außen wenig einladende Hochhaus das erste Studentenwohnheim der Landeshauptstadt. Schon damals zeichnete es sich nicht nur durch die hoch über die Umgebung aufragende Architektur aus. Auch die Idee, die Wohngemeinschaften, die sich hier unter einem gemeinsamen Dach befinden, selbstverwaltet zu betreiben, war von Anfang an prägend. Der in Steinbach bei Schwäbisch Hall geborene Pharmaunternehmer und Mäzen Max Kade machte die Selbstverwaltung zur Grundvoraussetzung dafür, sich über seine Stiftung mit 1,45 Millionen D-Mark am Bau des Wohnheims und der angeschlossenen Mensa zu beteiligen.

Mit dem Außenbereich in luftiger Höhe, der einen Aufenthaltsraum, das sogenannte Dachcafé, umgibt, hat der 1882 geborene Spender Studierenden zumindest visuell großartige Aussichten beschert: Wer kann schon behaupten, die Dachkonstruktion der Liederhalle mit ihren unterschiedlichen Sälen von oben begutachtet zu haben? Richtet man den Blick gen Horizont, reicht er bis zum Fernsehturm. Wahlweise können Liebhaber des Morbiden den Hoppenlaufriedhof aus der Vogelperspektive in Augenschein nehmen. Wo sich bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg das alte Beinerhäuschen des Gräberfeldes befand, kann man heute vom zentral gelegenen Hochhaus aus Umschau halten. Die Fassade mag funktional und trist wirken: Der Ausblick von oben macht die Behauptung verständlich, es handle sich um das schönste Studentenwohnheim der Welt.

Durch Städte, Inseln und Kontinente geht es aufs Dach

Durch den Gottesacker und seinen alten Baumbestand liegen viele Balkone im Schatten. Wer den Sommer genießen will, strebt daher durch das liebevoll bemalte Treppenhaus in die Höhe. Jedes Stockwerk ist einem anderen geografschen Thema gewidmet, die Motive reichen von indischen Impressionen bis zu Ansichten von Paris, den Osterinseln oder Australien. „Die Dachterrasse ist ein beliebter Treffpunkt, für alle, die ein bisschen Sonne suchen“, gibt Runtze zu Protokoll und fokussiert die dunklen Regenwolken, die sich gerade über dem Wohnheim zusammenziehen. Jeden Mittwoch findet im Café eine Party für Hausbewohner und deren Gäste statt, die den teilüberdachten Außenbereich mit einbezieht. Mieter müssen dann bis gegen 1.30 Uhr mit Nebengeräuschen rechnen. Dafür dürfen sie aber auch in exklusiver Atmosphäre mitfeiern. Außenstehenden, die keinen näheren Kontakt zum Max-Kade-Haus haben, bleibt das Erlebnis des nächtlichen Blicks über die City vorenthalten. Wer sich dem Geländer nähert sollte übrigens einigermaßen schwindelfrei sein. Es ist nicht sonderlich hoch.

Solange Markus Runtze zurückdenken kann, ging es auf der Terrasse bei aller Partylaune immer recht gesittet zu. Legenden berichten von winterlichen Eskalationen mit abstürzenden Sofas und Weihnachtsbäumen. Doch das sind Geschichten aus einer anderen Zeit. „Wer hier einziehen will, muss in einer Vorstellungsrunde überzeugen“, erklärt der angehende Ingenieur. „Ein wichtiges Argument ist für uns, dass neue Bewohner eine Menge Gemeinschaftssinn mitbringen.“ Das schließt die verantwortungsvolle Nutzung des Außenterrains mit ein. „Hier kann man nach einer Nacht in der Stadt noch gemütlich ausspannen“, schwärmt Runtze. „Sonnenbaden ist möglich, im Winter kam es auch schon vor, dass wir uns hier oben spontan zum Glühweintrinken eingefunden haben. Die Dachterrasse ist das ganze Jahr über ein Ort, an dem man sich trifft, um gemeinsam zu feiern. Wer eine Auszeit braucht, kann hier zwischendurch aber immer wieder ein bisschen Ruhe finden.“