Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Hans-Peter Friedrich Foto: dpa

Der Chef der CSU-Landesgruppe, Hans-Peter Friedrich, kritisiert Stuttgart-21-Gegner.

Stuttgart - Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Hans-Peter Friedrich, sieht in Stuttgart 21 eine Chance, der Stadt neue Impulse zu geben. Im Streit um das Projekt räumt er Kommunikationsprobleme der Politik ein. Ein Interview

Herr Friedrich, muss Stuttgart 21 wirklich sein?

Stuttgart 21 ist eine langfristige Weichenstellung, die sich für Generationen auswirken wird. Es geht darum, ob Stuttgart seine Chancen wahrnehmen will, der Innenstadt neue Impulse zu geben und für eine neue Lebensqualität zu sorgen. Es geht aber auch um die Weiterentwicklung der transeuropäischen Schnellbahnnetze, von denen Stuttgart nicht abgehängt werden soll.

Sehen Sie im Projekt Stuttgart 21 also eine Art Schicksalsentscheidung?

Das Projekt ist ein Beispiel dafür, ob wir es in Deutschland und Europa schaffen, mit der Dynamik und dem Zukunftswillen der Asiaten wenigstens einigermaßen Schritt zu halten. Wenn uns das nicht gelingt, werden wir unseren Wohlstand verlieren.

Soll über Stuttgart 21 auch nicht mehr in einer Volksbefragung entschieden werden?

Dieses Projekt ist von den Bürgern mitentschieden worden. 11.500 Einsprüche wurden im Verfahren berücksichtigt. Alle vom Bürger demokratisch gewählten Gremien, vom Stuttgarter Stadtrat bis zum Deutschen Bundestag, haben es mit großen Mehrheiten abgesegnet. Trotzdem ist es wichtig und richtig, mit den Bürgern zu sprechen und auch diejenigen, die sich erst jetzt damit befassen, einzubinden.

Ist für Sie der Widerstand gegen Stuttgart 21 ein Ausdruck von Fortschrittsverweigerung?

Wir erleben in Deutschland insgesamt eine Verweigerungshaltung: Raus aus Infrastrukturprojekten, raus aus der Kernenergie, raus aus der Genforschung. An diesen Beispielen wird eine wohlstandssatte Ermüdung deutlich, die für die künftigen Generationen hoch gefährlich ist. Grundsätzlich geht es aber um die Frage: Dynamische Weiterentwicklung oder Stillstand und Abstieg.

Wie bewerten Sie den Umgang der Landesregierung mit Stuttgart 21? Kann sie mit dem Thema die Wahl gewinnen?

Ich hoffe es. Aber insbesondere die Grünen versuchen jetzt, ein taktisches Spiel zu spielen und die Fortschrittsskepsis für sich zu nutzen. Wir haben eine neue Frontlinie im Land: Die einen wollen sich dem internationalen Wettbewerb stellen, und die anderen verweigern sich der Veränderung. Die Grünen wollen das für ihren Machtanspruch nutzen. Wenn sie sich durchsetzen, dann sind der Abstieg unseres Landes und das Ende unseres Wohlstandes unvermeidbar.

Wird am Beispiel Stuttgart 21 auch deutlich, dass sich die Politik immer schwerer tut, die Menschen zu erreichen?

Ich glaube, dass es immer schwieriger wird, komplexe Zusammenhänge und komplexe Themen zu kommunizieren. Es gibt eine Grundhaltung, die wir auch bei anderen Projekten erleben. Da wird gesagt: Ich brauche keinen Flughafen oder: Ich brauche keine Autobahn. Aber am Schluss sind alle einig: Wir brauchen Arbeitsplätze, wir wollen sichere Renten und ein gewisses Maß an Wohlstand. Wir müssen uns stärker darauf konzentrieren, diesen komplexen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung auf der einen Seite und dem Wohlstand, der jeden Tag neu erarbeitet werden muss, herzustellen.

Heißt das, dass die Politik falsch kommuniziert?

Wir haben Kommunikationsprobleme, keine Frage. Wir verheddern uns in Einzelfragen und zeichnen nicht mehr die großen Linien. Dabei sind weiter große Weichenstellungen zu leisten. Wir müssen erkennen, dass unser altes Europa in der Welt vor einem Kampf der Systeme steht. Die Chinesen zum Beispiel sagen uns: Kapitalismus geht auch ohne Demokratie. Und die arabischen Länder: Wir kaufen alles mit Öldollar. Und schauen Sie nach Russland: Das Land verfügt über gewaltige Bodenschätze, für die wir viel bezahlen müssen. Die Europäer können in diesem Wettbewerb nur bestehen, wenn sie ihr Potenzial und ihre Innovationskraft voll ausschöpfen.

Brauchen wir daher die Zuwanderung?

Genauso wie junge Deutsche - Mediziner, Ingenieure, Handwerker - in den USA, in Kanada oder Australien ihre Chance suchen, müssen wir dafür sorgen, dass junge Leute aus der ganzen Welt ihre Chance bei uns suchen können. Aber von Günther Beckstein, dem früheren bayerischen Ministerpräsidenten, stammt der richtige Satz: Wir brauchen die, die uns nutzen, und nicht die, die uns ausnutzen. In anderen Ländern landet man ganz schnell unter der Brücke, wenn man nicht bereit ist, die Sprache zu lernen und sich zu integrieren. In Deutschland kann man 20 Jahre Integration verweigern und mit Hartz IV dennoch durchkommen. Wir können es uns aber nicht weiter leisten, Leute zu holen, die die Segnungen des Sozialstaates nur ausnutzen wollen.

Kommt das Thema Zuwanderung der CSU gelegen, um bei ihren Stammwählern Boden gutzumachen?

Viele Bürger argwöhnen, dass die demokratischen Parteien ihre Situation nicht mehr richtig zur Kenntnis nehmen und ihre Interessen nicht richtig vertreten. Wir müssen ihnen in klarer Sprache vermitteln, dass dies nicht so ist. Andernfalls riskieren wir, dass sich wie in den Niederlanden und Österreich rechtspopulistische Parteien bilden.