So gab sich Cro in der Schleyerhalle Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Cro, dem Mann mit der Pandamaske, fehlt bei seinem Auftritt in der Stuttgarter Schleyerhalle vor allem eines: Kontur. Das junge Publikum bejubelt vor allem die alten Hits des Hip-Hoppers.

Stuttgart - Pünktlich mit dem Glockenschlag um 20 Uhr, den deutschen Jugendschutzgesetzen sei Dank, erlischt das Licht in der Arena. Der Stehplatzbereich der Stuttgarter Schleyerhalle ist am Freitagabend dreigeteilt, vorne ein abgesperrtes Segment, aus dem es sehr juvenil kreischt, sodann ein abgeschrankter zweiter Bereich, dahinter der Rest. In diesem Rest und auf den Sitzplätzen sind die Zuschauer etwas gesetzter, aber von den vielen anwesenden Erziehungsberechtigten abgesehen noch immer relativ jung. Die Publikumszusammensetzung zeigt ein kleines Dilemma auf: Cros Musik spricht in erster Linie Kinder und Teenager an, diese Fangruppe muss nachwachsen und darf sich nicht anderen Stars zuwenden, sonst wird die Schleyerhalle irgendwann zu groß. Am Freitag ist sie bei weitem nicht ausverkauft, der Innenraum ist teils sehr luftig besetzt, auf den Rängen klaffen einige Lücken – und das, obwohl laut der Dame an den Kassenhäuschen allein siebenhundert (!) Menschen auf der Gästeliste standen.

Darüber könnte man nachdenken; umgekehrt ist dort eben die nichtsdestotrotz gut gefüllte mit Abstand größte Veranstaltungshalle Stuttgarts, und die Zahl der heimischen Künstler, die sie füllen können, ist nun einmal sehr begrenzt. Das Heimspiel in der Schleyerhalle austragen zu können, ist für Stuttgarter Künstler noch immer ein großes Privileg sowie Ausweis des Umstands, es geschafft zu haben.

Geschafft hat Carlo Weibel alias Cro auch einiges. Drei Longplayer hat er seit 2012 vorgelegt, die es allesamt auf den Spitzenplatz der deutschen Albumcharts brachten. Ausverkaufte Schleyerhallen, Bekanntheit im gesamten deutschsprachigen Raum.

Der Sound kommt mehrheitlich aus dem Computer

Der Ruhm rührt freilich eher vom Hitpotenzial her denn von den musikalischen Fertigkeiten. Exemplarisch dafür steht das nächste, von Hip-Hop-Konzerten teils wohlbekannte Dilemma – nämlich die Frage, wie man diese Musik auf die Bühne bringt. Die anderen berühmten Stuttgarter Rap-Pop-Künstler, die Fantastischen Vier, setzen bei Konzerten auf eine komplette Liveband – Cro hat nur einen Schlagzeuger, einen Keyboarder und seinen Produzent Markus Brückner alias Psaiko Dino nebst zwei Begleitsängerinnen dabei. Der Sound kommt mehrheitlich aus dem Computer, ein Livekonzertgefühl stellt sich zu keinem Zeitpunkt ein.

Cro greift zwischendurch zur Gitarre und setzt sich auch an Keyboards, wirkliche künstlerische Authentizität verströmt das aber nicht. Ohnehin bewegt sich die ästhetische Gestaltungshöhe auf einem überschaubaren Niveau, umgekehrt ist aber wohl auch niemand gekommen, um überbordende instrumentale Virtuosität zu bestaunen.

Das Ambiente auf dem Podium ist für Schleyerhallenverhältnisse karg. Die Lichtregie ist einfach, das Bühnenbild schlicht gehalten: eine überdimensionierte Raumkapsel, die man besteigen und auf der man sich niederlassen kann, was Cro auch tut, denn so ein Konzert ist, wie er zwischendurch sagt, schon ein bisschen anstrengend. Videowände an den Bühnenseiten gibt es nicht (bei der Größe dieser Arena eigentlich unakzeptabel), die Videowand im Bühnenrücken zeigt Cro und seine Mitstreiter auch nur selten beim Ausüben ihrer Tätigkeit, was den Besuchern im hinteren Teil der Halle nicht gerade das Gefühl von Nähe vermittelt.

Indiskutabel ist schließlich der Sound. Er dröhnt in einem in der Schleyerhalle noch nicht gehörten Maße und ist so bassübersättigt, dass selbst die Handläufe der Aufgänge am hintersten Hallenende noch vibrieren.

Das Publikum jubelt vor allem bei den alten Hits

Genau neunzig Minuten währt das Konzert, eine weitere halbe Stunde ist für die zwei Zugaben angesetzt. Bald nach Beginn spielt Cro seinen zweiten großen Hit „Du“, kurz vor Konzertende den dritten Hit „Einmal um die Welt“ und zu Beginn der zweiten Zugabe seinen ersten und größten Hit „Easy“. Dazwischen kommen fast alle Songs vom neuen Album. Riesenapplaus ernten die Hits, freundlichen der Rest, am ehesten fühlt man sich in der Schleyerhalle wie auf einem richtigen Konzert, als Cro kurz vor dem Ende seinen sehr alten und durchaus groovig-guten Song „Rockstar“ anstimmt.

„Kunst und Kultur darf und soll nicht politisch dienen, sie muss frei sein, um wirksam sein zu können“, hat vor kurzem der Grünen-Chef Robert Habeck gesagt. „Ich bin kein Angestellter des Publikums. Ich freue mich, wenn viele Menschen meine Musik hören und in meine Konzerte kommen, aber das heißt nicht, dass ich denen ständig koche, was gerade am liebsten gegessen wird“, meinte ebenfalls neulich Herbert Grönemeyer. Welcher der beiden Sichtweisen der Musiker Cro näher steht, der in der Schleyerhalle „Wer von euch hat Bock, die ganze Halle abzureißen?“ dem Publikum entgegen geschmettert hat, scheint offenbar. Es ist das selbstverständliche Recht eines jeden Künstlers, zu den Weltläuften eine Meinung zu artikulieren oder es sein zu lassen. So gesehen ist alles in Ordnung mit diesem handzahmen, wenig spektakulären Konzert. Aber es ist gerade auch diese Konturlosigkeit, die einen bei Cros Konzert doch etwas desillusioniert zurücklässt.