Isolation ist angesichts der Corona-Krise das Gebot der Stunde Foto: Leif Piechowski

Das öffentliche Leben wird heruntergefahren. Doch einige scheinen den Ernst der Lage nicht zu erkennen. Die Diplompsychologin Karin Gustedt von der Beratungsstelle „Ruf und Rat“ erklärt, wie man Älteren vermittelt, dass soziale Distanz derzeit wichtig ist.

Stuttgart - Ältere Menschen haben oft Angst vor Vereinsamung. Halten sich einige deshalb nicht an die Vorgabe, in der Corona-Krise so wenig Außenkontakte wie möglich zu pflegen? Die Diplompsychologin Karin Gustedt erklärt im Interview, wie man Senioren liebevoll vermittelt, dass es derzeit um ihre und die Gesundheit aller geht. Sie arbeitet als psychologische Beraterin sowie Familien- und Paartherapeutin bei der Stuttgarter Beratungsstelle „Ruf und Rat“, einer Einrichtung der Diözese Rottenburg-Stuttgart, und ist dort kommissarische Leiterin.

Frau Gustedt, man hört derzeit immer wieder von Jugendlichen, die Corona-Partys feiern. Doch es scheint eine zweite Gruppe zu geben, die den Ernst der Lage unterschätzt – Teile der älteren Generation.

Ja, den Eindruck kann man gewinnen. Vielleicht suchen manche ältere Menschen Außenkontakte aus Angst vor Isolation. Viele Ältere fühlen sich einsam oder sind es tatsächlich. Da ist der Gang in die Stadt, ins Café oder in den Supermarkt eine willkommene Abwechslung, eine Möglichkeit zu sozialem Kontakt. Zudem sind wir Menschen Gewohnheitstiere: Wenn ich jahrzehntelang mittwochs und samstags einkaufen war, kann ich das nicht so leicht lassen. Das sind aber nur facettenhafte Eindrücke. Es gibt unter allen Altersgruppen sehr reflektierte und vorsichtig agierende Menschen, die das Allgemeinwohl im Blick haben.

Wird man im Alter sturer?

Möglicherweise gibt es mit zunehmendem Alter eine Einengung der Handlungsspielräume. Man möchte sich ungern Vorschriften machen oder gar etwas verbieten lassen. Wer will das schon? Manche jüngere und ältere Menschen reagieren darauf besonders sensibel. Vielleicht weil sie das Gefühl haben, dass man ihnen wenig zutraut. Vermutlich spielen die Erfahrungen, die sie in ihrer Biografie gesammelt haben ebenfalls eine Rolle: Ich habe schon so viel erlebt, da stecke ich das auch noch weg. Zudem kann Verdrängung eine Rolle spielen.

Wie sage ich den Eltern oder Großeltern also, dass sie daheim bleiben sollen, dass man sich sogar besser eine Weile nicht sieht?

Es ist oft hilfreich, wenn man Beispiele aus dem Erfahrungsumfeld heranzieht: Bei Grippe halten wir doch auch Abstand, um uns und andere nicht anzustecken. Es ist quasi ein Appell an die Vernunft, an die Verantwortung, die jeder trägt. Als Angehörige oder Nachbar sollte man vermitteln, dass die Vorsorgemaßnahmen nicht gegen den anderen gerichtet sind. Es geht um die persönliche Sorge, um Fürsorge für die Gesellschaft, für die Familie und Nachbarn, und um sich selbst. Zudem kann man aufzeigen, dass das Ganze zeitlich begrenzt ist. Diese Ausnahmezeit ist umso kürzer, je mehr Menschen sich an die gebotenen Vorgaben halten.

Und bis dahin anders Kontakt halten?

Unbedingt! Man kann regelmäßig und zu abgemachten Zeiten telefonieren, Whatsapps, SMS und Mails schicken, skypen – oder auch mal wieder einen handschriftlichen Brief schicken. Und damit zeigen: Du und deine Gesundheit sind mir wichtig.

Falls Sie psychologische Unterstützung benötigen: Das Sekretariat von „Ruf und Rat“ ist unter der Nummer 0711 / 2 26 20 55 erreichbar, die katholische Telefonseelsorge rund um die Uhr unter 08 00 / 1 11 02 22.