Abstandsregeln im Kanzleramt: Journalisten müssen Distanz halten. Foto: AFP/Markus Schreiber

Homeoffice, Telefonschalten, Videokonferenzen – auch das Kanzleramt passt seine Arbeitsweise an. Angela Merkel empfängt keine Staatsgäste. Das ist eine Umstellung, hat aber auch eine positive Seite.

Berlin - An Desinfektionsspray fehlt es im Kanzleramt nicht, der erste Flüssigkeitsspender steht gleich am Eingang. Nur die Zahl der zu desinfizierenden Hände nimmt ab. Kabinettssitzungen finden wie auch an diesem Mittwoch noch von Angesicht zu Angesicht statt – sonst aber wird der Besucherverkehr im Sinne der selbst beschlossenen Sozialkontaktvermeidungsstrategie minimiert.

Die Stühle stehen einzeln und mit großem Abstand zueinander im weiten Foyer der deutschen Regierungszentrale. Zu Angela Merkels Pressekonferenz am Dienstag sind anders als in Vor-Corona-Zeiten nur 20 Mitglieder der schreibenden Zunft zugelassen. Staatsgäste, von denen sonst schon mal zwei oder drei am Tag zu Besuch sind, kommen gar keine mehr – Portugals Premier António Costa ist vor Wochenfrist der vorläufig letzte gewesen.

Keine Staatsgäste mehr im Kanzleramt

Die Viruspandemie hat den politischen Gesprächsbedarf aber nicht kleiner, sondern größer werden lassen. Im Kanzleramt erlebt daher die Videokonferenz – wie in vielen Unternehmen auch – einen neuen Frühling. Am Montagmorgen hat sich Merkel virtuell mit Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratschef Charles Michel getroffen, am Nachmittag ist US-Präsident Donald Trump ins Lagezentrum des Kanzleramts zugeschaltet gewesen – zum G-7-Videogipfel.

EU-Gipfel per Videokonferenz

Gereist, wie in anderen Krisen üblich, wird auch am Dienstag nicht. Die Regierungsjets, die sonst nach Ankara oder Brüssel geflogen wären, bleiben am Boden. Am frühen Nachmittag lässt sich die Kanzlerin mit Macron und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan verbinden, da die Lage der Flüchtlinge an der Grenze zu Griechenland im Schatten der Coronakrise stehen mag, sie sich deshalb aber nicht verbessert hat. Am frühen Abend folgt ein zweiter digitaler EU-Gipfel: 27 Staats- und Regierungschefs schauen auf einen Bildschirm und sehen die anderen. „Man sieht“, hat Merkel nach der Premiere in der Vorwoche gesagt, „dass die Digitalisierung und die neuen Formen der Kommunikation überall einziehen.“

Der Gewöhnungsbedarf ist groß. „Anstrengender“ nennt jemand aus dem Kanzleramt diese Art der Kommunikation – wie auch andere Beschäftigte gerade erfahren, dass mitunter schwerer zu erkennen ist, ob ein Teilnehmer zum Redebeitrag ansetzt und deshalb alle gleichzeitig sprechen. Für die Fülle von Telefonkonferenzen, in die sich Kanzleramtsmitarbeiter im Homeoffice einwählen müssen, gilt das mangels Sichtkontakt noch mehr.

Markus Söder spricht von „Home-Government“

Es ist ein Spagat. Einerseits muss die öffentliche Verwaltung, die Regierung zumal, voll arbeitsfähig bleiben. CSU-Chef Markus Söder hat deshalb schon verlauten lassen, es könne notfalls auch ein „Home-Government“ geben. Das aber soll vermieden werden, weshalb mögliche Infektionsketten auch in der Regierungszentrale durchbrochen werden sollen. Die Arbeit von Beamten, die sich gegenseitig vertreten können, ist räumlich wie zeitlich getrennt worden. Und wie in vielen Firmen gehört nun auch im Kanzleramt die Heimarbeit notgedrungen zum Geschäftsmodell. „Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stabs machen größtmöglich Gebrauch von den vorhandenen Möglichkeiten des mobilen Arbeitens von zu Hause“, heißt es etwa im Team der für Integrationspolitik zuständigen Staatsministerin Annette Widmann-Mauz (CDU).

Für Angela Merkel und ihre engsten Mitarbeiter, darunter auch Kanzleramtschef Helge Braun, der von Haus aus Intensivmediziner ist, gilt das Heimarbeitsgebot in der Coronakrise nicht. Dazu sind die Krisensitzungen zu eng getaktet, der Absprachebedarf zu hoch. Das Gute an der neuen Arbeitsweise ohne repräsentative Termine und Geschäftsreisen: Es bleibt mehr Zeit für das Kerngeschäft und das Krisenmanagement. Dass das überhaupt so gut per SMS, Telefon und Videoanruf möglich ist, nennt Söder den „Vorteil unserer digitalen Welt“, vor 20 Jahren wäre die Coronakrise aus seiner Sicht „deutlich schwieriger“ zu bekämpfen gewesen.