Hendrik Streeck ist Direktor des Institutes für Virologie und HIV-Forschung an der Universität Bonn. Foto: dpa/Federico Gambarini

Nach Wochen mit steigenden Fallzahlen hat sich die Corona-Lage in Deutschland zuletzt stabilisiert. In dieser Situation machen Experten, unter anderem der Virologe Hendrik Streeck, Vorschläge zum künftigen Umgang mit der Pandemie.

Berlin - Der Virologe Hendrik Streeck regt eine Debatte über Umfang und Dauer der staatlichen Beschränkungen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie an. „Ich plädiere für einen Strategiewechsel“, sagte der Direktor des Institutes für Virologie und HIV-Forschung an der Universität Bonn der „Welt am Sonntag“. „Wir dürfen uns bei der Bewertung der Situation nicht allein auf die reinen Infektionszahlen beschränken“, sagte er. Zwar steige die Zahl der positiv getesteten Menschen in Deutschland und Europa signifikant an. „Gleichzeitig sehen wir aber kaum einen Anstieg der Todeszahlen.“

Der Wissenschaftler ergänzte, gesellschaftlich betrachtet seien Infektionen mit keinen Symptomen nicht zwangsweise schlimm. „Je mehr Menschen sich infizieren und keine Symptome entwickeln, umso mehr sind - zumindest für eine kurzen Zeitraum - immun. Sie können zum pandemischen Geschehen nicht mehr beitragen.“ Streeck sagte, man könne „das Leben ja nicht pausieren lassen“.

So bewerten Korrespondenten das Infektionsgeschehen:

Zahlreiche Test in der Entwicklung

Er verwies auf die Bedeutung von Antigen-Schnelltests, mit denen es möglich sei, eine Infektion innerhalb von wenigen Minuten festzustellen. Solche Tests seien nur Momentaufnahmen, genügten aber, wenn Pflegepersonal in Heimen und Kliniken regelmäßig getestet würde, sagte Streeck. Perspektivisch könnten auch Besucher auf diese Weise getestet werden. „Man mag sich eine Security-Schleuse am Eingang des Pflegeheims vorstellen. Es wird getestet, und ein Ergebnis liegt innerhalb von zehn bis fünfzehn Minuten vor. Menschen würden so nicht weggesperrt, aber viel besser geschützt.“

Zahlreiche solcher Tests befinden sich derzeit in Entwicklung, einige sind bereits erhältlich. Der Schweizer Pharmakonzern Roche hat angekündigt, noch im September einen Antigen-Test auf den Markt zu bringen, der laut Hersteller-Angaben mit hoher Genauigkeit eine Infektion erkennt. Die Zahlen für diesen Tests hörten sich gut an, sagte kürzlich Matthias Orth, Chefarzt des Instituts für Laboratoriumsmedizin im Marienhospital in Stuttgart. Grundsätzlich seien solche Schnelltests aber mit Bedacht zu bewerten. „Ein Antigen-Test ist nie so genau wie ein PCR-Test.“ Schnelltests seien in manchen Bereichen eine sinnvolle Ergänzung, könnten aber die PCR-Testung nicht ersetzen.

Im Hinblick auf den künftigen Umgang mit der Coronavirus-Pandemie hatte der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité kürzlich Vorschläge für die Isolierung infizierter Personen und die Quarantäne von Verdachtsfällen gemacht. Infizierte sollten ab dem Zeitpunkt der Diagnose noch fünf Tage in Heimisolierung gehen. „Dann erfolgt eine Testung und bei niedriger Viruslast eine Aufhebung der Isolierung.“ Dies gelte bei milden Fällen mit geringem Risiko der Verschlechterung.

In Deutschland ist Zahl der Todesfälle rückläufig

Bei Verdacht auf eine Infektion, also wenn jemand keine Symptome hat und noch nicht getestet wurde, gebe es derzeit auf EU-Ebene Diskussionen, die Quarantäne Zeit von 14 auf 10 Tage zu verkürzen. „Ich denke, das geht. Ich kann mir auch vorstellen, dass man sogar noch ein paar Tage weiter reduzieren kann, zum Beispiel auf sieben Tage.“ Einige Infektionen würde man dann verpassen. „Wie viele verpasste Infektionen man zulassen will, ist eine politische Entscheidung.“

Auch Gérard Krause vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung befürwortet eine Verkürzung der Quarantäne. „Wie lange genau hängt davon ab, wie viel Sicherheits- bzw. Gewissheits-Bedürfnis die Behörden haben.“ Das gelte aber nur für asymptomatische Kontaktpersonen.

In Deutschland ist die Zahl der Todesfälle im Verhältnis zur Zahl der Infektionen gegenwärtig rückläufig. Das Robert Koch-Institut (RKI) führt das darauf zurück, dass sich zuletzt vor allem jüngere Menschen angesteckt haben, bei denen es selten zu schweren Verläufen kommt. Eine Zunahme der Infektionen, insbesondere bei älteren und gefährdeten Menschen, müsse dennoch vermieden werden. Nach einem Anstieg der Fallzahlen seit Mitte Juli, hat sich die Situation laut RKI zuletzt stabilisiert.