Statistiker warnen davor, sich allzu sehr auf die Zahlen in Bezug auf das Coronavirus zu verlassen. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Die Sache mit den Zahlen ist heikel. Man weiß nicht immer genau, wo sie herkommen und wie allumfassend sie sind. Und dennoch vermitteln sie aufgrund ihrer scheinbaren Exaktheit ein Gefühl von Sicherheit. Das kann gerade in der Corona-Krise ein fataler Fehlschluss sein.

München - Den größten Wert in Corona-Zeiten haben – neben Nudeln und Klopapier – wohl Zahlen. Auf einmal rufen Menschen, die mit Mathematik wenig und mit Statistik überhaupt nichts am Hut haben, mehrmals täglich Daten zu Coronavirus-Fällen ab. Statistiker warnen aber davor, sich allzu sehr auf die Zahlen zu verlassen.

Die verfügbaren Zahlen enthielten zu wenige Informationen, erklärt Katharina Schüller, Gründerin des Münchner Unternehmens Stat-Up und Leiterin der Arbeitsgruppe „Statistical Literacy“ der Deutschen Statistischen Gesellschaft. „Sie bilden nur einen kleinen Teil der Realität ab, nämlich die schwer Erkrankten, einen Teil der leichter Erkrankten mit Symptomen und einen ganz kleinen Teil von Menschen ohne Krankheitszeichen, die getestet wurden, weil sie Verdachtsfälle waren.“

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Ob auch viele andere infiziert sind oder nicht, „das wissen wir nicht und können es auch nur mehr oder weniger begründet erraten“, schreibt Schüller in einem Beitrag für das Hochschulforum Digitalisierung: „Wir wissen, dass jede unserer Modellrechnungen falsch sein muss.“ Trotzdem könnten die Schlussfolgerungen daraus richtig sein.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weist unter anderem auf „Unterschiede bei den Berichtsmethoden, rückwirkende Datenkonsolidierung und Verzögerungen bei der Berichterstattung“ hin. Wegen der Inkubationszeit, der Zeit für den Test und der Meldeverzögerungen zeigen in Deutschland zum Beispiel Maßnahmen wie Kontaktverbote oft erst etwa 14 Tage später Folgen bei den Zahlen.

Es gibt viele solche Stolperfallen bei den Corona-Daten. Die Tücke liegt wie so oft im Detail. Besonders heikel sind Ländervergleiche. „Insbesondere hängen die erfassten Fallzahlen in jedem Land zentral davon ab, wie systematisch und umfangreich dort auf den Virus getestet wird“, erklären die Macher der „Unstatistik des Monats“, einem Angebot mehrerer Statistik-Experten, das auf mögliche Fehler bei der Interpretation von Statistiken hinweist.

Angaben oft nur Schätzungen

Etliche Faktoren beeinflussen Stand und Schweregrad der Infektionen und können sich von Land zu Land immens unterscheiden: Einwohnerzahl, Altersstruktur, spezielle Erkrankungen in der Bevölkerung wie Tuberkulose, das Stadium der Ausbruchswelle, der Wille oder das Vermögen zu testen, die Richtlinien dafür, wer überhaupt getestet wird. In Altenheimen gestorbene Menschen etwa werden in einigen Ländern nachträglich getestet und fließen in die Statistik ein - in anderen nicht. Da vorwiegend Ältere mit Covid-19 sterben, kann das enorme vermeintliche Unterschiede zur Folge haben.

Die statistische Erfassung der Todesursachen variiere von Land zu Land erheblich, betonen auch die Macher der „Unstatistik“, zu denen Katharina Schüller gehört. Dennoch werden immer wieder Vergleiche von Sterberaten diskutiert. Generell sei es falsch, einfach die Toten ins Verhältnis zu den bekannten Infizierten zu setzen. Werde die Dunkelziffer nicht berücksichtigt, werde die Letalität systematisch überschätzt.

Kniffelig wird es auch bei Aussagen zur Zahl der Genesenen, die hier und da bis auf die letzte Stelle angegeben werden und damit ziemlich exakt aussehen. Doch wo nicht einmal alle Infizierten getestet und erhoben werden, kann natürlich noch viel weniger über die Zahl der Genesenen bekannt sein. Daher sind all diese Angaben immer nur Schätzungen – sehr grobe Schätzungen in vielen Fällen.