„Wir Deutschen neigen zur Zwanghaftigkeit“, sagt der Psychologe Gottfried Barth und meint dabei auch das Hamstern von Toilettenpapier. Foto: Gottfried Stoppel

Kaum ein Produkt ist derzeit so rar wie Klopapier: Gerade in den Regalen, ist es auch schon wieder ausverkauft. Der Psychologe Gottfried Barth erklärt, wieso es zu diesen Hamsterkäufen kommt.

Stuttgart - Die Corona-Krise treibt so manchen zum Hamsterkauf. Doch warum ist ausgerechnet Klopapier oft aus? Der Psychotherapeut und Psychoanalytiker Gottfried Barth von der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Tübingen versucht, den Run zu erklären.

Herr Barth, wieso horten die Deutschen derzeit Klopapier?

Inzwischen ist es sicher so, dass ein Hype eingesetzt hat, dass das Ganze eine gewisse Eigendynamik entwickelt hat: Keiner, der derzeit Klopapier in einem Regal sieht, kann es liegen lassen. Man muss es einfach kaufen. Trotzdem steckt meiner Meinung nach kein Zufall dahinter, auch wenn wir Fachleute nur Hypothesen aufstellen können. Wir Deutschen neigen nun mal generell zu einer gewissen Zwanghaftigkeit. Dazu tragen wohl auch die noch immer verbreiteten Erziehungsideale bei, die auf Bestrafung fußen. Uns eilt der Ruf voraus, dass wir immer funktionieren und dass wir penibel auf Genauigkeit achten. Diese Zwanghaftigkeit entspricht psychoanalytisch der analen Phase. Auch ohne Corona ist es erstaunlich, wie stark Stuhlgang und ähnlich anale Themen die Menschen in unserem Land beschäftigen.

Die Franzosen hamstern eher Rotwein.

Das stimmt, unsere Nachbarn gehen mit der Bedrohung durch das Virus auf ihre Weise um. Und die ist durchaus genussfreudiger. In Frankreich ist zudem das Bidet weit verbreitet. Man kann sich also auch gut ohne Papier reinigen. Aber aus Neuseeland und Großbritannien wird ebenfalls von leeren Klopapier-Regalen berichtet. Vielleicht ist die Mentalität dort ähnlich zwanghaft.

Sie sprechen vom Umgang mit der Bedrohung. Wie meinen Sie das?

Viele verspüren gerade eine Machtlosigkeit. Das Virus bedroht uns – doch was können wir ihm entgegensetzen? Ganz simpel gesagt: Man will sich vom Virus trennen, sich von ihm befreien, indem man es ausscheidet, indem man sich reinigt.

Der Klopapier-Kauf lässt sich also auch als eine Art Schutzmaßnahme erklären?

Ja, einige denken sich, wir tun, was wir können – aber es kommt ohnehin, wie es kommt. Was der gesündere Ansatz ist. Und andere fühlen sich ausgeliefert und wollen dagegen ankämpfen, dieser Machtlosigkeit also begegnen: Sie reinigen sich und fühlen sich dadurch besser geschützt. Ich finde, man darf auch in dieser schweren Zeit nicht den Humor verlieren. Deshalb fasse ich das Motto jetzt mal ganz flapsig so zusammen: Wenn ich schon sterben muss, dann doch wenigstens mit sauberem Hintern.