Weniger Fahrgäste und Maskenpflicht: das prägt die Lage im öffentlichen Nahverkehr in der Region Stuttgart. Foto: dpa/Christoph Schmidt

Mit einem Verlust von mindestens 100 Millionen Euro bei den Fahrgeldeinnahmen rechnet der VVS in diesem Jahr. Momentan wird im Verbund darüber diskutiert, wie Stammkunden, die ihr Abo in der Coronakrise nicht gekündigt haben, belohnt werden können. Dabei lohnt ein Blick in die Schweiz.

Stuttgart - Seit mehr als 25 Jahren nutzt Sebastian V. (Name von der Redaktion geändert) Busse und Bahnen im VVS, seit 2016 mit einem Senioren-Jahresticket. Jetzt ist der Dauerkunde des öffentlichen Nahverkehrs empört und frustriert. Wegen einer Erkrankung kann er Busse und Bahnen coronabedingt seit März nicht nutzen, deshalb bat er um Stilllegung seines Abos während der Pandemiezeit. Doch bei den SSB wurde ihm bedeutet, er müsse kündigen, was Sebastian V. dann auch tat: Nun muss er nicht nur für die beiden Monate März und April, in denen er nicht fuhr, den Monatspreis berappen, sondern auch pro Monat noch nachzahlen, weil der Jahreskartenbonus nicht gilt. Hinzu kommen Bearbeitungsgebühren. „Das ist weder fair noch gerecht“, sagt Sebastian V., der nicht versteht, warum in diesen Zeiten nicht die Möglichkeit geschaffen wird, Dauertickets eine Zeit lang stillzulegen, wenn sie nachweislich nicht genutzt werden.

Weniger Fahrgäster – weniger Einnahmen

Sebastian V. sticht damit in ein Wespennetz. Der öffentliche Nahverkehr, die Bahn- und Busunternehmen von DB Regio über SSB bis zu den privaten Betrieben, müssen wegen des starken Fahrgastrückgangs nicht nur erhebliche Mindereinnahmen verkraften und rufen deshalb nach staatlicher Hilfe. In der Branche grassiert auch die Furcht, dass die Menschen auf Dauer vermehrt aufs Auto umsteigen, weil dort mehr Gesundheitsschutz geboten wird als in Bussen und Bahnen. Deshalb wird hinter den Kulissen an Modellen gearbeitet, wie ÖPNV-Kunden gehalten werden können.

VVS verspricht Lösung

„Wir müssen es honorieren, wenn unsere Kunden bleiben“, sagt VVS-Geschäftsführer Horst Stammler, der gleichwohl weiß, dass dies ohne stattliche staatliche Hilfe nicht gehen wird: Er rechnet mit mindestens 100 Millionen Euro weniger Fahrgeldeinnahmen in diesem Jahr. Zum Vergleich: 2019 betrugen die wegen der Tarifreform ohnehin gesunkenen Fahrgeldeinnahmen noch 511 Millionen Euro – 5,2 Prozent weniger als 2018.

Allerdings ist die Zahl der Abo-Kündigungen momentan noch gering: „Weniger als zwei Prozent unserer Stammkunden haben gekündigt“, sagt Stammler, allerdings wollten viele wissen, ob es Rabatte und Entschädigungen gibt. „Wir werden etwas tun“, sagt Stammler. Was genau, sei aber noch offen. „Wir müssen da um Geduld bitten“.

Erstattung beim Scool-Ticket

Beim Scool-Ticket sind die Stadt Stuttgart und die Kreise der Region schon in Vorleistung gegangen. Sie haben für einen Monat den elterlichen Kostenanteil für den Fahrschein übernommen, der wegen der Schulschließungen nicht genutzt werden konnte. Das Land garantiert nun, zumindest eine zweite Monatsrate zu erstatten und will dafür landesweit 36,8 Millionen Euro aufwenden (auch weil nicht alle Kreise bisher Elternanteile erstatten). Damit soll erreicht werden, dass die Schülertickets nicht in großen Umfang gekündigt werden und damit das Finanzloch der Verkehrsunternehmen noch größer wird.

SPD will Rabatte für Stammkunden

Doch an einer grundlegenden Lösung für andere Dauerkunden wird noch gebastelt. So wird am Mittwoch im Verwaltungsausschuss des Stuttgarter Gemeinderats über einen SPD-Antrag beraten, wonach „treue Stammkunden des Nahverkehrs Rabatte oder Vollerstattungen der gezahlten Gelder fürs Jahresabo bekommen sollen“, sagt Fraktionschef Martin Körner. So soll die Stadt einen weiteren Monat den Elternanteil fürs Scool-Abo übernehmen, das Studi-Ticket soll kostenlos um einen Monat verlängert werden, für Nutzer des Senioren- und des Jobtickets soll die nächsten drei Monate ein Rabatt gewährt werden, was auf weitere Kunden von Zeitabos ausgedehnt werden soll. „Wir wollen den SSB-Stammkunden ein Angebot machen, um sie als Abonnenten nicht zu verlieren“, so Körner.

Einfach längere Gültigkeit

Das fordert auch der ökologisch orientierte Verkehrsclub Deutschland (VCD), der für eine landeseinheitliche Lösung bei den 22 Verkehrsverbünden im Südwesten plädiert. „Viele Stammkunden überlegen, ob sie ihre Zeitkarte kündigen, weil sie sie in der coronabedingten Zwangspause nicht nutzen“, sagt VCD-Landesvorsitzender Matthias Lieb. Diese Nutzer müssten durch Rabatte gehalten werden. Am einfachsten wäre es aus VCD-Sicht, „die Geltungsdauer einer Zeitkarte um ein oder zwei Monate zu verlängern.“ Dies wäre auch für Semester- und Seniorentickets eine pragmatische Lösung. Rabatt statt Erstattung – das war auch die vorherrschende Meinung im regionalen Verkehrsausschuss. Wie das konkret ausgestaltet werden kann, wird wohl ein Thema für den Tarifausschuss und den Aufsichtsrat des VVS sein. Er könnte sich ein Beispiel an der Schweiz nehmen: Besitzer von Zeitkarten, die noch ein Jahr gelten, bekommen im gesamten Land einen halben Monat geschenkt.

Sebastian V. ist gespannt, was kommt. Er will jedenfalls wieder mit Bussen und Bahnen unterwegs sein, wenn die Pandemie vorüber ist. Doch ihm schwant schon, was passiert, wenn er sich nach der aus seiner Sicht erzwungenen Kündigung ein neues Zeitticket zulegt. „Dann wird mir wieder eine Bearbeitungsgebühr in Rechnung gestellt“.