Seit Montag sind viele Geschäfte wieder geöffnet. Foto: dpa/Hauke-Christian Dittrich

Die Mehrwertsteuersätze für die Gastronomie wurden gesenkt. Das wäre auch für andere Branchen hilfreich, meinen einige Ökonomen. Andere halten Steuersenkungen auf breiter Front für wenig zielführend – und zu teuer.

Frankfurt - LBBW-Chefvolkswirt Uwe Burkert fordert als Antwort auf die Coronakrise eine Halbierung des Mehrwertsteuersatzes für alle Branchen – außer dem Online-Handel. Letzterer profitiere von der Krise, argumentiert der Ökonom in seinem Wochenkommentar „Burkerts Blick“. Dem von Ladenschließungen und anderen Sicherheitsauflagen betroffenen stationären Handel hingegen würde eine vorübergehende Steuersenkung „kräftig Schub geben“. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz auf Lebensmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs sollte nach Burkerts Ansicht sogar ganz gestrichen werden – für zwei Jahre.

Die große Koalition in Berlin hat gerade erst beschlossen, Gastronomiebetriebe durch eine Senkung der Mehrwertsteuer auf die dort angebotenen Speisen zu unterstützen. Ab 1. Juli gilt hierfür ein Jahr lang der ermäßigte Satz von sieben Prozent. Auf Forderungen nach weiteren Mehrwertsteuersenkungen angesprochen, verwies das Bundesfinanzministerium auf den Corona-Schutzschild „für Beschäftigte, Selbstständige und Unternehmen“, der über eine Billion Euro an Zuschüssen und Bürgschaften umfasst. Man beobachte die Lage und werde „wenn notwendig weitere Maßnahmen ergreifen“, teilte ein Ministeriumssprecher unserer Zeitung mit.

ZEW-Experte für Ermäßigung nur bis zum Jahresende

Eine Mehrwertsteuersenkung für alle Branchen fordert neben Burkert auch der Ökonom Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Er empfahl bereits Anfang März eine Reduzierung des Normalsatzes von 19 Prozent um zwei Prozentpunkte, befristet bis zum Jahresende. „Ich könnte mir auch eine stärkere Senkung vorstellen, wichtig bleibt aber die Befristung“, sagte Heinemann unserer Zeitung am Freitag. „Denn so wäre für die Verbraucher klar, dass sie in diesem Jahr besonders günstig einkaufen könnten – und gerade jetzt muss ja die Nachfrage angekurbelt werden.“ Die Ladenschließungen der vergangenen Wochen haben den Einzelhandel nach Einschätzung des Branchenverbands HDE rund 30 Milliarden Euro an Umsätzen gekostet.

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Differenzierte Mehrwertsteuersätze für Onlinehandel und stationären Handel hält der Verband, dem neuerdings auch das Internet-Kaufhaus Amazon angehört, für unrealistisch. „Das wäre Diskriminierung“, erklärte der HDE-Steuerexperte Ralph Brügelmann. Ohnehin beziehe sich der Mehrwertsteuersatz immer auf das Produkt oder die Dienstleistung, unabhängig vom Anbieter. „Es sind immer die Hose, die Schuhe, die Monatshygiene oder eben das Essen, das besteuert wird, nicht das Unternehmen.“

Auch die Folgen einer allgemeinen Mehrwertsteuersenkung sind umstritten. Sie wäre „wenig zielgenau, da sie auch Bereichen zugutekäme, die wie die Bauwirtschaft oder die Gebrauchsgüterindustrie nur begrenzt von der Krise betroffen sind“, heißt es beispielsweise in einem gemeinsamen Papier von Ifo-Chef Clemens Fuest, dem Präsidenten des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, Gabriel Felbermayr, sowie weiteren Ökonomen, das in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Wirtschaftsdienst“ erschien. „Auch ist unklar, inwieweit eine Steuersenkung überhaupt an die Konsumenten weitergegeben würde.“ Vor diesem Hintergrund seien die Kosten einer Mehrwertsteuersenkung zu hoch, schreiben die Wissenschaftler. Jeder Prozentpunkt weniger bedeute für den Fiskus Mindereinnahmen von rund zehn Milliarden Euro im Jahr.

Auto-Experte fordert Mehrwertsteuerbefreiung nur für Waren ab 10 000 Euro

Burkerts Vorschlag würde also zig Milliarden Euro kosten und bedürfte obendrein einer europaweiten Abstimmung, weil die EU für die Mehrwertsteuer Untergrenzen von 15 Prozent beziehungsweise fünf Prozent für den ermäßigten Satz vorschreibt. Angesichts des Nachfrageschocks infolge der Corona-Pandemie sei aber eine „Steuerbazooka“ notwendig, argumentiert der Chefvolkswirt der LBBW. Seine Forderung nach einer Streichung des ermäßigten Satzes auf Lebensmittel, deren Verkauf ja keinen Einschränkungen unterlag, begründet er mit Kaufkraftverlusten von Verbrauchern, deren Einkommen durch die Krise geschmälert werden.

Der Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer hingegen plädiert für eine Mehrwertsteuerbefreiung ausschließlich für höherwertige Konsumgüter. „Einfache Produkte kaufen die Leute ohnehin. Da braucht es den Anstoß nicht“, schreibt der an der Universität St. Gallen tätige Professor in einem Papier seines „Institute Consumer Insight“. In einem Gastbeitrag auf „Zeit Online“ präzisierte er, Waren zu Preisen von 10 000 Euro aufwärts könnten für neun oder zwölf Monate von der Steuer befreit werden. Bei einer solchen Abgrenzung käme die Mehrwertsteuerbefreiung nur wenigen Branchen zugute. Neben den Autoherstellern und ihren Kunden könnten beispielsweise Anbieter und Käufer teurer Möbel profitieren.