Viele Eltern können von zu Hause aus arbeiten, doch sie müssen nun gleich mehreren Bereichen gerecht werden. Foto: dpa/Christian Beutler

Seit zwei Wochen sind die Schulen und Kindertageseinrichtungen in der Stadt geschlossen. Auch für Eltern, die von zu Hause aus arbeiten können, ist die Situation nicht einfach, denn ihre Kinder tun sich oft schwer mit selbstständigem Lernen.

Fellbach - Die Stimmung unter den Fellbacher Eltern ist durchaus angespannt. Viele können zwar nun von zu Hause aus arbeiten, doch sie müssen nun gleich mehreren Bereichen gerecht werden: ihrem Beruf, ihren Kindern, der Schule, dem Alltag. Für die meisten Eltern von Grundschulkindern mag das Ganze noch einigermaßen machbar sein, weil der Lernstoff durchschaubar und vermittelbar ist. Doch wie geht es Eltern von Gymnasialkindern, die beide arbeiten und nun bei ihren Kindern gleichzeitig die Rolle der Lehrer ausfüllen sollen?

Ein Arbeitszimmer befindet sich jetzt im elterlichen Schlafzimmer

Colette Eberspächer und ihr Mann gehören zu den Eltern mit zwei Gymnasialkindern. Beide arbeiten nun im Home-Office. Ein Arbeitszimmer befindet sich jetzt im elterlichen Schlafzimmer, ein extra gekauftes, zehn Meter langes Netzwerkkabel führt quer durchs Haus. Der Sohn geht in die 5. Klasse des Friedrich-Schiller-Gymnasiums (FSG) und bekommt Vorgaben zur Erledigung seiner Wochenhausaufgaben. Zwar erkundigten sich die Lehrer ab und zu über einen Klassenchat, wie es bei ihm laufe: „Trotz aller Hilfe der Lehrer müssen wir Eltern den Kindern aber grundsätzliche Themen erklären – doch dafür hatte ich in der letzten Woche fast keine Zeit und müsste es am Wochenende nachholen“, sagt Colette Eberspächer. Die Antwort ihres Sohnes darauf laute allerdings: „Am Wochenende ist schulfrei.“

Ohne einen „virtuellen Unterricht der Lehrer“, das habe sie bereits in der ersten Woche festgestellt, sei es sehr schwierig, die Kinder bei der Stange zu halten. Eine visuelle Verbindungsmöglichkeit, auch mit interaktiven Möglichkeiten, werde derzeit geprüft, sei aber realistisch nicht kurzfristig möglich. „Elternvertreter und Schulleitung arbeiten hier aber eng zusammen, wir hoffen auf eine baldige Lösung“, sagt Eberspächer, die stellvertretende Elternbeiratsvorsitzende des FSG ist.

Sie arbeitet im Klinikum Stuttgart und hat dort mit Finanzen und Zahlen zu tun

Auch bei ihrer 15-jährigen Tochter, die die 9. Klasse am FSG besucht, läuft nicht alles reibungslos ab. Zwar spule sie jeden Morgen pünktlich das vom Sportlehrer aufgegebene Sportprogramm ab, arbeite regelmäßig an ihren Aufgaben und berichte ihrer Mutter abends, dass sie „alles erledigt“ habe. Doch dann gebe es mitunter Situationen, in denen die 15-Jährige selbst merke, dass sie eben doch nicht alles vom Aufgabenzettel erledigt habe und sie bis Freitag noch „ziemlich viel Mathe“ hätte abgeben müssen. „Da kann man den Jugendlichen aber auch keinen Vorwurf machen. Denn die zeitlichen Relationen von Lernen sind auch bei 15-Jährigen nicht realistisch“, sagt Eberspächer. Sie müsse aber darauf vertrauen, dass beide Kinder das vorgegebene Arbeitspensum der vergangenen Woche gemacht hätten. Leider habe sie aber keine Zeit, dies engmaschig zu kontrollieren, weil sie sonst ihre beruflichen Aufgaben nicht schaffe.

Doch genau dieser Spagat zwischen den zwei Welten führe dazu, dass sie sich unter Druck gesetzt fühle

Dass Colette Eberspächer konzentriert arbeiten kann, ist derzeit besonders wichtig: Sie arbeitet im Klinikum Stuttgart und hat dort mit Finanzen und Zahlen zu tun. „Ich bin froh, dass ich hier helfen kann, Themen schnell zu bearbeiten und unbürokratische Lösungen zu finden, damit die anderen Mitarbeiter sich darauf konzentrieren können, die Klinikumsgebäude auf die aktuellen Anforderungen anzupassen und dass das Klinikum gut gerüstet ist“, sagt sie. Doch genau dieser Spagat zwischen den zwei Welten führe dazu, dass sie sich unter Druck gesetzt fühle. „Ständig habe ich das Gefühl, zu versagen und mein Kind nicht zu unterstützen, eine Rabenmutter zu sein, obwohl ich es doch allen recht machen möchte. Das stresst mich zusätzlich.“ Sie sieht allerdings auch das Positive: „Die Familie verbringt nun viel mehr Zeit miteinander, man isst zusammen, man redet mehr – das ist doch schön!“

Sie habe das Problem auch bereits bei den Lehrkräften angesprochen

Auch Ilka Bihler kann ein Lied von diesem Spagat singen. Ihr Sohn ist in der Grundschule, doch ihre 13 Jahre alte Tochter besucht das FSG und hat jede Menge zu tun. „Gestern hat sie von 9 bis 13 Uhr durchgearbeitet, das war hart“, berichtet Ilka Bihler. Sie habe das Problem auch bereits bei den Lehrkräften angesprochen und ernte dort zwar Verständnis – allerdings höre man durchaus auch Kommentare wie „Die haben doch Zeit und gehen sonst auch den ganzen Tag zur Schule“. Diese Art von Zeiteinteilung funktioniert aber nach Bihlers Ansicht eben nicht. „Dreizehnjährige sind es doch gar nicht gewohnt, den ganzen Tag selbstständig zu arbeiten. Die brauchen dringend Unterstützung und vor allem engmaschige Anleitung und Betreuung durch die Lehrkräfte“, findet sie. Viele Lehrer könnten dies aber nicht wirklich einschätzen.

Für die alleinerziehende Jessica Hißlinger stehen derzeit gleich zwei Themen im Raum: erstens die Betreuung ihrer zwei Jungs im Alter von acht und sechs Jahren, zweitens ihre Ausbildung zur Erzieherin, die sie eigentlich im September starten wollte. „Ich habe gerade keine Ahnung, was daraus wird“, sagt sie. Die ersten schulfreien Tage sei sie mit ihren Söhnen strukturiert angegangen: Spätestens um 8 Uhr ging es mit dem Älteren los mit den Schulaufgaben, während sich der Kleine alleine im Nebenzimmer beschäftigen musste. Auch ihr Sohn habe eine Art „Feriengefühl“, das sie ihm nun jeden Morgen erst einmal ausreden müsse. „Es wird sicher keine einfache Zeit, aber man muss das Beste draus machen“, sagt sie.