Es gehe vor allem darum, die Infektionsgefahr in Tanzlokalen durch Schweiß und Körperkontakt zu bannen, sagte der Ordnungsbürgermeister Martin Schairer. Deshalb werden Prostitutionsbetriebe und Clubs stillgelegt. In Restaurants sei die Gefahr der Ansteckung dagegen geringer, weil die Gäste eher Abstand voneinander halten können. Foto: Andreas Rosar

Es ist ein drastischer Schritt im Kampf gegen das Coronavirus: Die Stadt untersagt bis auf Weiteres alle öffentlichen Veranstaltungen, Kinos, Clubs, Bars, Museen, Bäder und die Vhs müssen schließen. Folgen andere Städte in der Region dem Stuttgarter Muster?

Stuttgart - In der Landeshauptstadt wird das öffentliche Leben auf unabsehbare Zeit weitgehend zum Erliegen kommen. Der Krisenstab unter Leitung von OB Fritz Kuhn (Grüne) hat am Freitag beschlossen, ab sofort alle kulturellen und sportlichen Veranstaltungen mit Publikumsverkehr vorläufig zu untersagen. Museen, Bäder, Bibliotheken, das Planetarium, die Musikschule und das Stadtarchiv, aber auch Kinos, Bars, Clubs und Diskotheken müssen schließen, ebenso die Volkshochschule. V

erboten ist außerdem jegliche Art der Ausübung der Prostitution. Allein Restaurants sind zumindest Stand Freitag von der Schließung ausgenommen. Kuhn begründete die drastischen Maßnahmen mit dem Schutz der Gesundheit für die Stuttgarter Bevölkerung vor dem Coronavirus. „Es kommt jetzt auf jeden Tag an, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen“, erläuterte der Rathauschef mit ernster Miene den Schritt. Auch Besuche von Alten- und Pflegeheimen seien bis auf wenige begründete Ausnahmen zu unterlassen.

Rechtsgrundlage für die Schließungen ist das Infektionsschutzgesetz

Grundlage des Verbots sind das Infektionsschutzgesetz sowie die entsprechenden Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts. Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) sagte, die Stadt werde auf Basis des Paragrafen 28 des Infektionsschutzgesetzes entsprechende Allgemeinverfügungen erlassen, die gegebenenfalls von der Polizei kontrolliert und durchgesetzt werden. Schairer betonte zugleich, man habe im Vorfeld der Entscheidung etwa mit Clubbetreibern gesprochen und habe dabei eine „große Einsicht“ festgestellt. „In Clubs verbreiten sich Viren durch die Nähe und den Körperkontakt besonders leicht. Durch diese Maßnahme schützen wir auch die jüngere Bevölkerung vor Infektionen“, so Schairer.

Nach Einschätzung des Gesundheitsamts sei dagegen in Restaurants die Gefahr der Ansteckung geringer, weil dort entsprechende Abstände zwischen den Gästen eher gewährleistet werden könnten. Es gehe vor allem darum, die Infektionsgefahr in Tanzlokalen durch Schweiß und Körperkontakt zu bannen.

Kuhn erklärte: „Wir stemmen uns mit allen Kräften gegen die Ausbreitung des Virus.“ Er appellierte zugleich an die Einwohner der Landeshauptstadt, soziale Kontakte auf das Nötigste zu beschränken. Dies sei wichtig, um Zeit zu gewinnen, so dass mögliche Schwerkranke in den Krankenhäusern behandelt werden können und das „gute“ Stuttgarter Gesundheitssystem arbeitsfähig bleibe. Der OB fügte hinzu, es gehe auch um den „besonderen Schutz“ von Risikogruppen wie etwa älteren Menschen und Personen mit Vorerkrankungen.

Kulturbürgermeister Mayer (CDU): Schritt schafft Klarheit für gesamte Kulturbranche

Der Erste Bürgermeister Fabian Mayer (CDU) – zuständig für Kultur – sagte, die angeordneten Schließungen seien zwar ein „tiefer Einschnitt“ in das kulturelle Leben der Stadt. „Zugleich schaffen wir aber Klarheit für die gesamte Kulturbranche, und es ist für alle nachvollziehbarer als eine Teilnehmergrenze von 1000 Personen.“

Auf jene Zahl, die zunächst von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) offenbar unter Berufung auf entsprechende Verbote in der Schweiz genannt worden war, hatte die Rathausspitze noch am Tag zuvor ihre Absage von Großveranstaltungen gestützt. Nach Informationen unserer Zeitung hatten daraufhin offenbar einige Konzertveranstalter versucht, das Verbot durch Besuchsbeschränkungen auf unter 1000 Gäste zu umgehen.

Nach Angaben des Chefs des Stuttgarter Gesundheitsamts, Stefan Ehehalt, hat sich die Zahl der mit dem Coronavirus infizierten Personen um 15 neue Fälle auf nunmehr insgesamt 55 erhöht. „Das Geschehen ist sehr dynamisch, ein weiterer Anstieg der Fallzahlen ist zu erwarten“, so der Mediziner: „Aus medizinischer Sicht wird es erst schlimmer, bevor es besser wird.“ Wenigstens eine gute Nachricht konnte Ehehalt verkünden: Von den bisher mit akuten Symptomen in den städtischen Krankenhäusern aufgenommenen Personen konnten die meisten mittlerweile wieder in häusliche Quarantäne entlassen werden. Bei den Infizierten in Stuttgart seien bisher nur „milde Verläufe“ zu beobachten.

Städte in der Region überlegen, ob sie dem Stuttgarter Beispiel folgen

In der Region Stuttgart überlegen viele Kommunen derweil noch, inwieweit sie dem Stuttgarter Beispiel folgen. In Böblingen, Sindelfingen, Herrenberg und Ludwigsburg tagten am Freitagnachmittag noch die entsprechenden Krisenstäbe der Stadtverwaltung. Schließungen nach Stuttgarter Muster seien nicht unwahrscheinlich, hieß es. Am Donnerstag hatte der Klinikverbund Südwest bereits ein Besuchsverbot für alle sechs Krankenhäuser in den Kreisen Böblingen und Calw verhängt.

Die Stadt Böblingen schließt zudem alle städtischen Einrichtungen bis Sonntag, 19. April. Termine im Rathaus gibt es nur nach vorheriger Vereinbarung. In Herrenberg wird etwa in der Gas- und Wasserversorgung sowie der Abwasserentsorgung einen Schichtbetrieb eingerichtet, um den Kontakt zwischen Mitarbeitern zu minimieren. Im Kreis Esslingen wurde ebenfalls ein Besuchsverbot für Kliniken erlassen. Das Hallenbad in Nürtingen, das Merkelsche Bad in Esslingen und das Hallenbad Wernau, die drei besucherstärksten klassischen Hallenbäder im Landkreis Esslingen waren am Freitag noch geöffnet. Auch im Fildorado in Filderstadt, einem der größten Spaßbäder im Land, lief der Betrieb zunächst normal weiter. Die Panorama- Therme in Beuren hatte am Freitag ebenfalls noch geöffnet. Kirchheim hat derweil bekannt gegeben, dass sie dem Stuttgarter Beispiel folgend alle öffentlichen Veranstaltungen stoppt und Bars, Clubs und Kinos schließt.