Wer wird sie benutzen? In dieser Woche kommt die neue Corona-App. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Vor dem Start der Corona-App sind noch nicht alle Fragen geklärt. Wenn es um den Aufbau von Vertrauen geht, kommt vor allem den Bundesländern eine besondere Aufgabe zu, kommentiert unser Autor Franz Feyder.

Stuttgart - Ein Buchstabe macht den großen Unterscheid: Während bislang 23 Länder darauf setzen, auch mit einer „Tracking-App“ zu verhindern, dass sich das Coronavirus unkontrolliert ausbreitet, verfolgt Deutschland einen anderen Weg. Die Bundesregierung setzt auf eine „Tracing-App“, die ab kommendem Dienstag auf möglichst viele Handys heruntergeladen werden soll: Anders als in China und Israel, wo Aufenthaltsorte und Bewegungsprofile gespeichert werden, registriert die deutsche Corona-App, welche Smartphones sich für mindestens 15 Minuten näher als zwei Meter kommen. Dafür scannen die Mobiltelefone alle paar Minuten ihre Umgebung. Dabei funken sie ständig eine nach dem Zufallsprinzip vergebene Identifikationsnummer (ID) über Bluetooth an die anderen Handys in ihrer Reichweite. Einmal am Tag kommuniziert die App mit einem zentralen Server, um die ID von Geräten der Besitzer abzurufen, die sich als infiziert gemeldet haben.

Wie hoch ist das Risiko?

Wer positiv auf Covid-19 getestet wurde, kann die 14 Tage lang nur auf seinem Handy gespeicherten Daten freigeben. Seine Kontaktpersonen werden dann informiert, dass sie an einem bestimmten Tag einem positiv getesteten Menschen begegnet sind. Sie erfahren jedoch nicht, wann genau und wo. Zudem werden sie benachrichtigt, wie hoch das Risiko dieser Begegnung einzuschätzen ist. Ein Wert, der sich aus vier Bestandteilen zusammensetzt: Stärke des Bluetooth-Signals (also wie nahe bin ich dem Infizierten wirklich gekommen), Dauer des Kontaktes, wie lange liegt der zurück und wie verläuft die Krankheit des Infizierten. Was dann aus der Warnung wird, liegt vollkommen beim Empfänger. Er kann die Nachricht in den Wind schlagen – oder nicht. Er kann sich testen lassen – oder nicht.

Weder SAP oder die Deutsche Telekom, die Anbieter der App, noch Gesundheitsämter oder die Bundesregierung sollen auf die Daten zurückgreifen können. Es gelte das Prinzip der Freiwilligkeit – beteuern alle an der Entwicklung Beteiligten. So weit die Theorie, es lohnt einen Blick in die Realität: Eine tragende Rolle im Kampf gegen die Pandemie spielt die App in keinem Land. Teilweise wurden die Bürger gezwungen, das Tool zu installieren. In anderen Ländern werden zusätzliche Daten gesammelt und die Anwender überwacht. Singapur, in Deutschland als leuchtendes Vorbild für die App angeführt, spricht wegen mangelnder Nutzung sogar von „schlechten Erfahrungen“.

Computerexperten der Universitäten in Darmstadt, Marburg und Würzburg warnten in einer am 9. Juni veröffentlichten Studie, externe Angreifer könnten detaillierte Bewegungsprofile von Corona-Infizierten erstellen und diese unter Umständen auch identifizieren. Auch Kontaktinformationen könnten manipuliert werden – und damit auch die Zuverlässigkeit der Warnungen.

Kameras sind tabu

Deshalb werden Bundesregierung und Entwickler in den kommenden Tagen noch sehr viel aufklären und noch mehr erklären müssen. Vor allem auch, weil immer wieder von Ermittlern und Politikern gefordert wird, das Mitte der 2000er Jahre eingeführte Mautsystem auf Autobahnen für die Fahndung nach Schwerstverbrechern und Terroristen nutzen zu dürfen. Bislang sind die Kameras tabu für Ermittlungsbehörden.

Dem Misstrauen der Menschen in Deutschland können vor allem die Bundesländer bei der Einführung der Corona-App begegnen: In ihren Parlamenten sind jene Kommissionen verankert, die Abhörmaßnahmen von Polizei und Verfassungsschutz kontrollieren. Diese Gremien könnten auch in regelmäßigen Abständen den Umgang mit den Daten der Tracing-App kontrollieren und die Parlamente – und damit den Bürger – informieren. Das schüfe Vertrauen.

franz.feyder@stuttgarter-nachrichten.de