„Bein-Amputierter auf freiem Fuß“: Martin Fromme Foto:  

Martin Fromme hält was aus, und er mutet auch seinem Publikum etwas zu. Sein Arm sei „eine Schnitzarbeit aus dem Erzgebirge“ – und man möge bitte lachen, statt betreten wegzuschauen. Das treibt der Comedian auf die Spitze.

So etwas hat Rainer Pohl von Elbwehr, der Vorsitzende des Ehninger Kultur- und Theaterkellers, noch nie erlebt: Keine einzige Karte ging weg; drei Tage musste er telefonieren, um Zuschauer für Martin Frommes Programm „Glückliches Händchen“ zu gewinnen. Und immer die gleiche „Herumeierei“. Ob man denn über Menschen mit Handicap überhaupt lachen könnte oder dürfte, hätten die Angerufenen sinngemäß gefragt. „So viel Voreingenommenheit habe ich nicht erwartet. Ich bin enttäuscht, muss ich sagen“, sagt Pohl von Elbwehr.

Betretenheit, weggucken – oder lachen?

Und das nach einem weiteren Corona-Winter, einer Phase, in der es ohnehin schon schwer ist, das Publikum wieder zum Ausgehen zu ermutigen. „Doch wir sind optimistisch und machen weiter“, kommentiert Pohl von Elbwehr die Lage. Und mit dieser Einstellung empfängt er dann auch die Zuschauer, die den Theaterkeller nur zu einem Drittel füllten: „Verzage nicht, o Häuflein klein“, zitierte er den Text aus der Bach-Kantate BWV 42.

Für Martin Fromme ist Betretenheit bei den Zuschauern Routine, und er nimmt in Ehningen den Stier gleich bei den Hörnern: „Die einen gucken weg, die anderen gucken hin, manche machen Übersprungshandlungen. Das ist am Anfang immer so eine befangene Atmosphäre“, sagte der Comedian aus dem Ruhrgebiet. Um dann mit Grabesstimme hinzuzusetzen: „Da müssen wir jetzt durch.“ Seine Arm-Dysmelie stellt er kurz entschlossen als „Schnitzarbeit aus dem Erzgebirge“ vor und reißt mit einer reichlichen Portion schwarzem Humor und Wortspielen Witze über Handicaps. Ein Wolfgang Schäuble als Kanzlerkandidat? Nicht auszudenken, obwohl der doch gar nicht zurücktreten könnte. Dann wohl doch lieber die ehrliche Haut Helmut Kohl.

Gibt es bei Sex-Hotlines Stotterer?

Kein frecher Kalauer über Handicaps, den Martin Fromme nicht anbringt. Ob es zum Beispiel bei Sex-Hotlines Ermäßigung für Stotterer gebe? Und sei es den Menschen ohne Handicap eigentlich klar, dass sie nicht ins „Para-Dies“ kämen? Auch mit Klischees über Menschen mit Handicap räumt er gründlich auf. Zum Beispiel mit der Vorstellung, dass diese in depressiver Stimmung gefangen seien. In einem Videoeinspieler treibt er mitleiderregende Szenen im Restaurant oder Kino so auf die Spitze, dass die Zuschauer sich mit Lachsalven von ihrer Befangenheit befreien können. In einem anderen Clip mit dem Titel „Ich und Du gemeinsam für Vorurteile und gegen Toleranz“ demonstriert Fromme am Beispiel eines belämmert dreinblickenden Nackten im Stringtanga zwerchfellerschütternd, wie es sich anfühlt, die ganze Zeit angestarrt zu werden.

Fromme bringt Menschen dazu, einem Blindenhund den Weg zu erklären

Martin Fromme hat sogar eine Hitparade der Handicaps erstellt, mit bissigen Songs wie „Für mich soll’s Multiple Skle-Rosen regnen“. Auch macht er in Videoclips Bevormundung gegenüber Behinderten spürbar, indem er den Spieß einfach umdreht: „Handy weg vom Steuer“, fordert er zum Beispiel herrisch eine Mutter mit Kinderwagen auf, die auf dem Smartphone surft. Zudem präsentiert er skurrile Funde aus Schlagzeilen: „Paralympics mit einem Bein im Finale“ und „Bein-Amputierter auf freiem Fuß“, entblödeten sich Medien nicht zu formulieren.

Auch die Inklusion ist an diesem Abend ein großes Thema: So imaginiert Fromme zur Freude des prustenden Publikums einen Blinden, der sich mithilfe seines Inklusionshelfers dem Ku-Klux-Klan anschließt. Martin Fromme hat sich erstmals im Jahr 1986 mit der Comedy-Show „Der Telök“ einen Namen gemacht, mit der er rund 1800 Auftritte absolvierte. 2009 war er in der Rolle des Gernot Graf bei „Stromberg“ zu erleben. Zwei Jahre später begann er als Moderator der Sendung „Selbstbestimmt“ über Teilhabe und Inklusion, und 2012 kam sein erstes Buch beim Carlsen Verlag heraus – eine Art sarkastischer Behinderten-Knigge.

Polizist verfolgt Dieb – beide im Rollstuhl

„Ich bin sehr oft mit versteckter Kamera unterwegs und bringe Menschen in absurde Situationen“, sagt Fromme. In Zusammenarbeit mit der Aktion Mensch, die Projekte für Menschen mit und ohne Behinderung fördert, startete er ab August 2015 das Internet-Format „Frommedy“, auch in Kooperation mit Kollegen, die ebenfalls ein Handicap haben. Da verfolgt ein Polizist einen Dieb – beide in Rollstühlen. Fromme bringt sogar Passanten dazu, einem Blindenhund einen Weg zu erklären. Seine irrwitzige Comedy hält den Zuschauern den Spiegel vor und tut neue Perspektiven auf. Dabei lacht er nicht über Menschen mit Handicap, sondern mit ihnen gemeinsam. „Humor baut Berührungsängste ab“, davon ist Fromme überzeugt. Das Publikum jubelt.